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Kollaps

Kollaps

Titel: Kollaps Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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wo sie in großer Höhe auf drei Gebirgszügen wachsen, die von dem Canyon nahezu gleich weit entfernt sind: in den Chuska-, San-Mateo- und San-Pedro-Bergen. Von welchen dieser drei Gebirge holten die Chaco-Anasazi nun tatsächlich ihre Nadelbäume? Die Bäume von allen drei Stellen gehören zur gleichen biologischen Art und sehen genau gleich aus. Als diagnostisches Kennzeichen verwendete Nathan das Strontium, ein Element, das chemisch stark dem Calcium ähnelt und mit diesem zusammen in das Gewebe von Pflanzen und Tieren eingebaut wird. Strontium kommt in unterschiedlichen Formen (Isotopen) vor, die sich in ihrem Atomgewicht geringfügig unterscheiden; in der Natur sind Strontium-87 und Strontium-86 am häufigsten. Aber das Verhältnis von Strontium-87 zu Strontium-86 schwankt je nach dem Alter und dem Rubidiumgehalt eines Gesteins, denn Strontium entsteht durch den radioaktiven Zerfall eines Rubidiumisotops. Wie sich herausstellte, lassen sich lebende Nadelbäume aus den drei Gebirgen an ihrem Verhältnis von Strontium-87 zu Strontium-86 eindeutig und ohne jede Überschneidung unterscheiden. Nathan untersuchte Nadelholzbalken aus sechs Ruinen im Chaco Canyon, die nach den Ergebnissen der Jahresringanalyse zwischen 974 und 1104 gefällt wurden. Dabei gelangte er zu dem Ergebnis, dass man zwei Drittel der Balken aufgrund ihres Strontiumgehalts in die Chuska-Berge zurückverfolgen konnte; ein Drittel stammte aus den San-Mateo-Bergen, aus den San-Pedro-Bergen dagegen kam kein Einziger. In einigen Fällen wurden Balken aus beiden Gebirgen in demselben Jahr in ein bestimmtes Bauwerk aufgenommen, oder man verwendete in einem Jahr die Balken aus dem einen Gebirge, im nächsten die aus dem anderen, wobei jeweils Holz aus einem Gebirge im gleichen Jahr in mehreren Gebäuden Verwendung fand. Damit haben wir einen eindeutigen Beleg, dass die Anasazi-Hauptstadt des Chaco Canyon durch ein gut organisiertes Ferntransportnetz versorgt wurde.
    Obwohl die Nutzpflanzenerträge durch diese beiden Umweltprobleme zurückgingen und die Holzproduktion im Chaco Canyon selbst praktisch zum Erliegen kam, wuchs die Bevölkerung weiter, insbesondere wegen eines Baubooms, der im Jahr 1029 begann. Ermöglicht wurde dies vielleicht durch die Lösungen, welche die Anasazi für ihre Probleme gefunden hatten. Besonders in feuchten Jahrzehnten setzte ein Schub reger Bautätigkeit ein: Mehr Regen bedeutete mehr Nahrung, mehr Menschen und mehr Bedarf an Gebäuden. Von der großen Bevölkerungsdichte zeugen nicht nur die berühmten »Great Houses« (»Große Häuser«, beispielsweise das Pueblo Bonito), die in Abständen von ungefähr eineinhalb Kilometern auf der Nordseite des Chaco Canyon stehen, sondern auch die Löcher, die man als Halterung für Dachbalken in die nördliche Klippenwand bohrte: Sie zeigen, dass zwischen den Großen Häusern am unteren Ende der Klippen eine ununterbrochene Reihe von Behausungen stand, und die Überreste mehrerer hundert kleinerer Siedlungen findet man auf der Südseite des Canyons. Wie groß die Gesamtbevölkerung im Canyon war, ist nicht bekannt und heftig umstritten. Nach Ansicht vieler Archäologen lebten dort weniger als 5000 Menschen, und die riesigen Gebäude hatten außer Priestern kaum ständige Bewohner, sondern wurden nur zu bestimmten Jahreszeiten und zu Ritualen von der Landbevölkerung besucht. Andere Fachleute weisen daraufhin, dass schon das Pueblo Bonito, das nur eines der großen Häuser des Chaco Canyon ist, insgesamt 600 Zimmer besitzt; außerdem lassen die Pfostenlöcher nach ihrer Ansicht darauf schließen, dass der Canyon fast auf seiner ganzen Länge bebaut war, was für eine Bevölkerung von wesentlich mehr als 5000 Menschen spricht. Solche Diskussionen über die Abschätzung von Bevölkerungszahlen kommen in der Archäologie sehr häufig auf; in anderen Kapiteln dieses Buches wird das Thema auch im Zusammenhang mit der Osterinsel und den Maya erwähnt.
    Unabhängig von ihrer tatsächlichen Größe konnte die zahlreiche Bevölkerung sich nicht mehr selbst versorgen, sondern sie wurde von weiter entfernten Satellitensiedlungen unterstützt, die in einem ähnlichen Architekturstil errichtet waren. Das sternförmige, mehrere hundert Kilometer lange Straßennetz, das sie mit dem Chaco Canyon verband, ist zum Teil heute noch zu sehen. Diese Außenposten verfügten über Dämme, mit denen sie den seltenen, unberechenbaren Niederschlag auffangen konnten: Ein Gewitter ließ unter Umständen in einem

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