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Kollaps

Kollaps

Titel: Kollaps Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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kleinen Abschnitt der Wüste ein Übermaß an Regen niedergehen, während es nur ein oder zwei Kilometer weiter überhaupt nicht regnete. Wenn nun ein bestimmtes Gebiet Glück hatte und ein solches Gewitter abbekam, konnte man das Regenwasser zum größten Teil hinter dem Damm speichern, und dann konnten die Bewohner schnell Nutzpflanzen anbauen und bewässern, sodass sie in dem betreffenden Jahr einen großen Nahrungsmittelüberschuss produzierten. Dieser Überschuss diente dann zur Versorgung der Menschen in den anderen Außenposten, bei denen es dieses Mal nicht geregnet hatte.
    Der Chaco Canyon wurde zu einem schwarzen Loch, das Waren importierte, aber selbst nichts Greifbares abgab. Es schluckte Zehntausende von großen Bäumen zu Bauzwecken; es schluckte Keramik (in der Spätzeit existierten im Chaco Canyon ausschließlich importierte Keramikgegenstände, vermutlich weil es an Ort und Stelle kein Brennholz mehr gab, sodass man die Gefäße im Canyon selbst nicht brennen konnte); es schluckte hochwertige Steine zur Herstellung von Werkzeugen, Türkis aus anderen Regionen von New Mexico für Verzierungen; und als Luxusgüter Papageien, Schmuck aus Muschelschalen sowie Glocken aus Kupfer von den Hohokam und aus Mexiko. Dass sogar Lebensmittel importiert werden mussten, zeigte sich kürzlich in einer Untersuchung, in der man den Ursprung der beim Pueblo Bonito ausgegrabenen Maiskolben zurückverfolgte. Dazu verwendete man das gleiche Strontiumisotopenverfahren, mit dem Nathan English auch die Herkunft der Holzbalken im Pueblo Bonito festgestellt hatte. Wie sich herausstellte, wurde Mais bereits im 9. Jahrhundert aus den 80 Kilometer westlich gelegenen Chuska-Bergen importiert (die auch eine der beiden Quellen für Dachbalken waren), und ein Maiskolben aus der Spätzeit des Pueblo Bonito im 12. Jahrhundert stammte vom San Juan River, der rund 100 Kilometer weiter nördlich liegt.
    Die Gesellschaft des Chaco Canyon wurde zu einem Miniatur-Kaiserreich: Sie gliederte sich in eine wohlgenährte Elite, die im Luxus lebte, und in eine arbeitende Landbevölkerung, die Lebensmittel produzierte und selbst viel weniger gut ernährt war. Am Straßennetz und der regionalen Verbreitung einer standardisierten Architektur erkennt man deutlich, in welch großem Gebiet die Wirtschaft und Kultur des Chaco Canyon und seiner Außenposten ein Gesamtsystem bildete. Der Baustil zeugt von einer dreistufigen Rangordnung: Die so genannten Großen Häuser im Chaco Canyon selbst waren möglicherweise die Residenzen der Häuptlinge; Große Häuser in den Außenposten außerhalb des Canyons könnten »Provinzhauptstädte« jüngerer Häuptlinge gewesen sein; und in kleinen Behausungen mit wenigen Zimmern lebten vermutlich die Bauern. Im Vergleich zu den kleineren Gebäuden waren die Großen Häuser durch eine raffiniertere Bauweise gekennzeichnet: verputztes Mauerwerk, große, als Great Kivas bezeichnete Bauwerke für religiöse Rituale (wie sie in ganz ähnlicher Form auch in den modernen Pueblos in Gebrauch sind) und mehr Lagerräume im Verhältnis zur Gesamtfläche. Ebenso gab es in den Großen Häusern weitaus mehr der bereits genannten, importierten Luxusgüter. Die meisten Luxusgüter fand man im Zimmer 33 des Pueblo Bonito: Dort befanden sich die Grabstätten von 14 Personen sowie 56 000 Türkisstücke und Tausende von Schmuckstücken aus Muschelschalen, darunter eine Halskette aus 2000 Türkisperlen und ein Korb, der mit einem Türkismosaik verziert und mit Türkis- und Perlmuttperlen gefüllt war. Weitere Belege, dass es den Häuptlingen besser ging als den Bauern, fand man in den Müllhaufen bei den Großen Häusern: Sie enthielten einen höheren Anteil an Hirsch- und Antilopenknochen als der Müll der einfachen Behausungen, und auch an den Grabstätten kann man erkennen, dass in den Großen Häusern besser ernährte, weniger schwindsüchtige Menschen lebten und dass auch die Säuglingssterblichkeit geringer war.
    Warum versorgten die weiter entfernten Siedlungen das Zentrum im Chaco Canyon? Warum lieferten sie pflichtschuldigst Holz, Keramik, Steine, Türkis und Lebensmittel, ohne dass sie dafür im Gegenzug irgendetwas erhielten? Wahrscheinlich taten sie es aus dem gleichen Grund, aus dem auch heute die ländlichen Gebiete Italiens oder Großbritanniens Großstädte wie Rom oder London versorgen, die weder Holz noch Lebensmittel produzieren, aber als politische und religiöse Zentren dienen. Wie die heutigen Italiener und Briten, so

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