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Kolonien der Liebe

Kolonien der Liebe

Titel: Kolonien der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Heidenreich
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das müsse sie ihrem Mann sagen, der sei da vorne. «GREEEEEGOR!»
    Ein Kopf mit schütterem Haar drehte sich um, lächelte müde, winkte fahrig, und sie ließ ihr helles Lachen perlen und rief: «Weißt du noch, Gregor, die Dame aus dem Fernsehen!»
    Die Warteschlange freute sich, daß endlich was los war, und ich dachte wieder mal: Warum bin ich eigentlich nicht Deutschlehrerin in einer kleinen Stadt geworden und bringe den Kindern bei, daß Eduard Mörike Zeit seines Lebens starke Affekte gemieden hat, jene krankhaften Poetenzustände der fliegenden Hitzen, wo man bunte Liköre trinkt statt echten Wein... meine neue Freundin befindet sich in just so einem Zustand. «Ich bin», raunte sie,
    «Schriftstellerin, und ich habe ein zauberhaftes Buch geschrieben über einen Hund, Gedanken eines Hundes. Ich werde es Ihnen schenken.» Sie rauschte zu Gregor, und ich betrachtete den Mann vor mir. Er trug einen Pepitamantel, hatte drei bordeauxrote Koffer, und auf seinem Kopf saß eine verrutschte Perücke. Ich hätte was drum gegeben, jetzt sofort auf einer einsamen Insel zu sein, am liebsten mit dem schwulen Bruno, und wir würden tagelang kein Wort reden, uns nicht einmal ansehen, einfach nur dasein. Vorne ging Gregor in die Knie und kramte in einer Reisetasche. Die Dichterin kam zurück und wollte mir das Buch nicht nur schenken, sondern auch widmen. «Vergriffen», sagte sie, « aber für Über-raschungsbekanntschaften habe ich immer eins dabei.» Sie kramte in ihrer Krokotasche nach einem Kugelschreiber und deutete meinen trostlosen Blick falsch.
    «Ich weiß, was Sie jetzt denken», sagte sie. «Heute würde ich so eine Tasche auch nicht mehr kaufen, aber damals hatte man ja das Bewußtsein noch nicht. Die Krokodile werden lebend gehäutet, das müssen Sie sich einmal vorstellen.» Ich stellte es mir vor, kam dabei ordentlich in Stimmung, und sie fand endlich einen Kugelschreiber. Wehgesichtig drehte sich die Perücke um und mußte den Aktenkoffer als Schreibunterlage halten, einbezogen in den neuen Freundeskreis. Die Dichterin schrieb Worte des Entzückens und der gleichen Wellenlängen in ihr längst vergriffenes Buch, und im Flugzeug habe ich die Gedanken eines Hundes dann sofort in die Kotztüte geschoben, weil ich Bücher mit Widmungen einfach nicht ausstehen kann.
    Der Mann mit der Perücke seufzte, die Widmerin war endlich fertig und beschwor mich: «Und wenn Sie mal nicht wissen, über wen Sie schreiben sollen - mein Leben war ja so reich, ich könnte stundenlang erzählen.»
    Mein Daumen pochte, und ich dachte an Hiobs sinnlosen Streit mit dem Herrn darüber, warum er uns Plagen auferlegt: «Wenn ich mich gleich mit Schneewasser wüsche und reinigte meine Hände mit Lauge, so wirst du mich doch tauchen in Kot und werden mir meine Kleider greulich anstehen. Gefällt dir's, daß du Gewalt tust und mich verwirfst, den deine Hände gemacht haben?»
    Wie wir wissen, gibt Hiob am Ende klein bei, und da endlich segnet ihn der Herr. Der Herr kann mich mal.
    «Ich war auch einmal Schauspieler.» Der Mann mit der Perücke bekannte das nun entschlossen und wollte mir die Hand reichen.
    Ich deutete auf den verbundenen Daumen, behielt meine Hand für mich und sage: «Ach was.»
    «In Offenburg. Aber heute mache ich ganz etwas anderes.»
    Ich schwieg. Ich schwieg, aber sein Blick bat so demütig um Nachfrage, die ganze Gestalt lauerte meinem Interesse so fiebernd entgegen, daß meine preußisch-protestantische Erziehung, das ewige Gefühl, für alles persönlich verantwortlich zu sein, wieder einmal siegte, und statt aus der Schlange schweigend auszuscheren, eine Maschine später zu buchen und noch einen halben Liter reinzuschütten, sagte ich doch tatsächlich: «Was denn?»
    Ich Idiotin. Warum sagte ich nicht wenigstens: «Ihre Perücke sitzt schief» oder «Fick dich doch ins Knie, Mann?» Jetzt baute sich diese Unglücksgestalt vor mir auf, schwoll an, bekam Züge eines entschlossenen Wanderpredigers und tönt mit beeindruckender Stimme: «Jetzt bin ich Vertreter für Kunstglieder.»
    Und er beeilte sich hinzuzufügen: «Nicht Prothesen für Arme oder Beine, sondern Glieder. Ich bin Vertreter für Kunstpenisse.»
    Ich war jetzt sicher, daß der Mann zu Beginn seiner Berufslaufbahn einen dieser «Be-yourself, man»-Kurse auf Firmenkosten besucht hat, wo einem psychologisch geschulte Eintänzer beibringen, daß man sich niemals seiner selbst und seines Berufes wegen zu schämen hat und wann, wo und vor wem auch immer

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