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Kolonien der Liebe

Kolonien der Liebe

Titel: Kolonien der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Heidenreich
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Gespräch mehr will.
    Hat übrigens lange gedauert, bis ich so ganz selbstverständlich hinten einsteigen konnte. Mein Vater war nämlich direkt nach dem Krieg Chauffeur, und ich kann mich an die Herrschaftsattitüde gut erinnern, mit der das gnädige Fräulein die Tür aufriß, sich auf den Rücksitz flegelte, und vorne saß mein Vater mit Mütze und Handschuhen.
    Heute kann ich das auch. Ich sitze hinten und zahle dafür, mir die Kerle nicht auch noch ansehen zu müssen auf der Fahrt zum Bahnhof, zum Hotel, zum Flugplatz. Ich wohne in Berlin immer im selben Hotel, immer im selben Zimmer. «Tut mir ja so leid», sagte der Portier, «war diesmal nicht zu machen, alles rappelvoll, ich kann Ihnen Ihr Zimmer heute nicht geben, aber ich hoffe, Sie fühlen sich trotzdem wohl bei uns», und zwinkerte mir so zu.
    Wohl fühlen? Hat sich schon mal jemand in einem Hotel wohl gefühlt? Bei festmontierten Duschen, Aircondition, nicht zu öffnenden Fenstern, bei Musikberieselung im Fahrstuhl, der Bibel auf dem Nachttisch, ekelhaften Bonbons auf dem Kopfkissen und Moosröschen im Bad? Bei Frühstücksbüfetts mit Butter in Kleeblattform, und wenn du auf der Terrasse einen Espresso willst, heißt es: «Im Garten nur Kännchen!» Wohl fühlen? Meine Glückstests mach ich woanders, du Simpel. Zwölfter Stock. Der stumme Schwarze fuhr mit, trug mein Köfferchen, zeigte mir den Weg. Er grinste beim Aufschließen: sie haben mir die Suite gegeben, weil nichts anderes frei war - aber vielleicht wollen sie mich auch nur davon überzeugen, wie phantastisch ihr Hotel ist -
    zwei Zimmer, zwei Bäder, vier Telefone, Dachterrasse, imitierte Antiquitäten, Chinateppiche wie Bildchen aus dem Poesiealbum, symmetrische Lampen aus blauem Porzellan neben einem weißgeblümten Sofa, Marmorbad mit beleuchteter Alabasterwanne. Auf dem Tisch Champagner im Kübel, zwei Gläser, die Direktion heißt willkommen. Was nun?
    Die Zeiten, in denen ich irgendeinen Kerl mit hoch nahm, um die Minibar nicht allein leer zu saufen, sind vorbei. Heute werfe ich lieber fünf Mark in den Hotelvideo, ziehe mir einen Schocker rein und riskiere nicht mehr, daß einer plötzlich sagt: «Ich heiß übrigens Johann. Ich liebe dich.» Aber so eine Suite und dann keiner da für das zweite Glas, und draußen tobte Berlin seinen ewigen Frust aus - das macht schon matt. Niemand, der mich über den Chinateppich schreiten und in der Alabasterwanne liegen sieht...
    Ich bin dann gleich runtergegangen in die Hotelhalle und hab mir einen Gimlet bestellt, den sie nirgends so schlecht mixen wie hier.
    Der Pianist mit den öligen Haaren war immer noch da, wenn er mich kommen sieht, leitet er jedesmal unauffällig über zu «that's why the Lady is a tramp», und es ist eigentlich alles gar nicht zu ertragen. Verdammt noch mal, warum mache ich immer noch diesen Job, warum verlasse ich meine Wohnung und reise in diese Stadt, in der die Rentner sich mit Stöcken und Schirmen über die Straße kämpfen und die Fixer dir die Spritze hinhalten und sagen, los, Knete her, oder du hast die Spritze im Arsch und kriegst auch Aids.
    Aber die Zeitung, für die ich arbeite, schickt mich mit Vorliebe hierher, meine Reportagen würden aus Berlin immer so besonders fuchtig, sagen sie. Diesmal mußte ich mit ein paar Nutten reden, die eine Demo für das steuerliche Absetzen von Reizwäsche gemacht haben, so was wollen die Leute lesen, und dafür bin ich zwei Tage unterwegs.
    Auf dem Weg zu den Nutten mußte ich an den schwulen Bruno denken. Zufällig hatte ich in der Hotelhalle in einer Zeitung gelesen, daß er an diesem Abend in einem Club auftreten würde, und irgendwie wußte ich: das geht schief. Der paßte noch weniger nach Berlin als ich, und ich weiß genau, daß der schwule Bruno das, was er können will, eben nicht kann. Er ist nicht locker, er ist nicht cool, er sieht bescheuert aus in seinen schwarzen Lederklamotten, und seine Lieder sind einfach Scheiße. Sie würden ihn einmachen, ich spürte das. Wie ein Barometer den Wetterumschwung, so spüre ich, was mit Bruno ist. Schließlich haben wir uns fast mal geliebt. Eine Nacht mit abstrusen Verrenkungen haben wir zusammen verbracht und uns lauter gefährliche Heimlichkeiten erzählt. So was bleibt zwischen zwei Verrückten in der Luft wie Verbindungsfäden, und wenn das Leben an einem reißt, merkt es der andere auch. Dabei muß ich sagen, daß der schwule Bruno im Grunde eine ziemlich miese Ratte ist, aber nie mit mir, und was soll's auch. Am

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