Kolonien der Liebe
liebsten war ich jetzt in diesen Club gegangen, hätte ihn rausgeholt und gesagt, Bruno avanti, jetzt gehen wir in meine Suite, legen uns auf den Chinateppich und gucken «Rocky IV», und du wirst sehen, Bruno, diese Nacht geht genauso rum wie die Nacht damals im September.
Statt dessen mußte ich zu den Nutten, in eine Bar mit Kinostühlen und lauter Spiegeln an den Wänden. Die Mädels waren ganz okay und irrsinnig engagiert, für und gegen dies und das, ein einziges Geplapper und Wichtiggetue, gar keine netten weichen Nutten mehr, wie mein Vater sie so geliebt hat. Heute diskutieren sie und marschieren in der ersten Reihe für Menschenrechte und Reizwäsche, und danach schreiben sie dann Taschenbücher über ihr wildes Leben. Aber diese hier waren wirklich ganz nett, beantworteten alle meine Fragen und segelten dann bis auf eine ganz in Lila auch ziemlich bald wieder ab. Die in Lila war Philosophiestudentin und machte das nur nebenbei, für die Miete, und irgendwie werd ich nie verstehen, wie sie das hinkriegen. Ich seh mir manchmal im Lokal, im Zug, auf der Straße, im Flugzeug, im Kaufhaus die Kerle an und stelle mir vor: der und der und der
und der, und es ist dein Job, und du kannst nicht nein sagen - ich würde mich oder ihn oder die ganze Welt erschießen und staune über die Mädels, die das bringen und anschließend aufs Klo und dann ins Philosophieseminar gehen: «Der Neukantianismus - die akademische Reduzierung der Philosophie auf Erkenntnistheorie und Methodologie».
Quer durch die Kneipe kam dann so ein vergilbter Alternativer angesegelt, schwarzer Anzug, Stirnglatze, aber Zopf, ziemlich kleine Pupillen von irgendwas Geschnupftem und eine Gauloise blonde im Mund. Hey, sagte er, setzte sich zu uns und erzählte uns einen Albtraum, den er letzte Nacht hatte: Jemand hatte ihn auf einer Müllkippe abgeladen, und er kam nicht mehr runter und versank immer tiefer und hatte die Ratten schon auf Augenhöhe, und die ganze Zeit legte er seine feuchte Pfote auf mein Knie und wollte wissen, was das alles zu bedeuten hätte, dabei hatte ich gerade angefangen, so ein kleines bißchen mit einem gesunden Blonden, Baujahr 60, zu flirten, der einen so wunderbaren Haaransatz und eine eckige Stirn hatte. Aber der Müllträumer ließ nicht locker, ich heiße Fritz, sagte er, und oft bin ich wahnsinnig depressiv, und ob ich mir darunter was vorstellen könnte? «Keine Ahnung, Fritzchen», hab ich gesagt, «ich bin einfach immer gut drauf, aber wenn du's hinter dich bringen möchtest, kann ich dir genau sagen, wie du es machen mußt, ohne daß sie dir den Magen auspumpen oder dich zusammenflicken.» So genau wollte er es dann doch nicht wissen und ging schließlich mit der lila Philosophienutte weg, aber da war der Blonde auch schon nicht mehr da, und ich kriegte an der Theke noch ein bißchen Krach mit einem von der TAZ, der eine Theorie über den Marxismus aufstellte, die ich jetzt vergessen habe, es ging jedenfalls darum, daß man ohne Marx die Welt nicht verstehen könne, daß Marx aber auch nicht ausreiche, um die Welt zu verstehen, und ich sagte: «Liebe ist auch so ein Problem, das Marx nicht gelöst hat», und da schrie mich der Typ von der TAZ wer weiß wie an, dabei ist das gar nicht von mir, sondern von Anouilh, aber diese jungen Journalisten kennen ja immer nur das Allerneueste, da hat Anouilh keine Chancen.
Irgendwann bin ich dann ziemlich angeschlagen, aber allein, in meiner Suite gelandet, in diesem Bett, in dem vor mir schon Gina Lollobrigida geschlafen hat, wie mir der Portier noch mit auf den Weg in den 12. Stock gab. Ich hab vom schwulen Bruno geträumt und von seiner beschränkten kleinen Frau, die immer noch glaubt, er würde mal Karriere machen, ganz groß rauskommen und sie lieben, dabei saß er jetzt wahrscheinlich mit einem gekauften Stricher in einer Kneipe und heulte, und vielleicht sprang Fritz gerade vom 18. Stock in die Spalierbirnen, um sein Tief loszuwerden, und die lila Nutte lag unter einem fetten Versicherungsvertreter und memorierte Ernst Cassirers
«Philosophie der symbolischen Formen», und meine Freundin Wanda kam auch in dem Traum vor, Wanda, die seit drei Jahren nicht mehr mit mir spricht - schlimme Nacht.
Nach solchen Nächten möchte ich am Flughafen am liebsten umbuchen: Mexico City oder Quito oder Lima, und nie mehr zurück, aber wie hätte ich das meiner Katze erklären sollen. Und wahrscheinlich geht ja in Mexico City auch schon alles drunter und drüber, also kann ich es
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