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Kolonien der Liebe

Kolonien der Liebe

Titel: Kolonien der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Heidenreich
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auch lassen bei zehn Uhr fünfzehn, Frankfurt.
    War keine gute Idee an diesem Samstagmorgen. Alle wollten weg, irgendwelche Ferien hatten angefangen, und da müssen die Berliner ja immer sofort weg nach Liechtenstein, Teneriffa oder an den Tegernsee. Ich verstehe zwar jeden Berliner, der aus dieser Stadt raus will, aber das sind ja alles solche, die danach wieder zurückkommen. Noch dazu war in der Nacht mal wieder eine Ami-Disco in die Luft geflogen, und entsprechend gründlich waren die Kontrollen. Ob der schwule Bruno mit seiner Vorliebe für Schwarze in der Ami-Disco gewesen war? Mir fiel dieser Abend in der Eisbärbar ein, wo wir vierzehn Tequila getrunken und darüber geflucht hatten, daß immer nur die ändern in Bars stehen, in denen geschossen wird, in Flugzeugen sitzen, die runterfallen, auf Schiffen, die untergehen. Wir hatten nie solche Chancen, wir mußten unser ganzes Schicksal selber machen, kein Eingriff von oben. Nein, der schwule Bruno war mit Sicherheit nicht in der Ami-Disco gewesen, der hatte diese ganze lange Nacht durchstehen müssen wie ich, und wie ich würde er seinen schweren Kopf auch heute noch auf diesen Flughafen tragen.
    Zwischen Gate 11 und 12 ist ein Laden, in dem man was trinken kann, Selbstbedienung. Ich redete mir ein, es könnte ja auch mal ein Kaffee sein am frühen Morgen, aber dann kam alles anders wegen der Oma vor mir. Sie roch nach Pipi und hatte ihre Brille vergessen, ich mußte ihr die Preise auf der Anzeigentafel vorlesen: Kotelett 4,80, Gemüsesuppe mit Brötchen 3,50, Hühnchen im Reisrand 7,20. Sie wollte Kotelett und ein Bier. Ich stell ihr alles aufs Tablett und mach ihr auch noch die Bierflasche auf, da läßt sie an der Kasse das Glas runtersegeln - tausend Scherben. Natürlich bück ich mich, und natürlich schneide ich mich. Ein tiefer Schnitt, quer über den Daumen, alles sofort voll Blut, und ich kann nur staunen, daß ich doch noch so lebendig bin.
    Die Oma war baff, sagte nett «und vielen Dank auch, Frolleinchen» und schob ab. Die Kassiererin rutschte von ihrem Stuhl, «ich kann kein Blut sehen!», rief sie und hauchte noch dazu:
    «Und Vorsicht wegen Aids.»
    Jetzt interessierten sich bis auf ein paar Japaner alle für mich und meinen Daumen, und es entstand eine Diskussion darüber, ob ich jetzt Aids kriege oder Aids verbreite.
    «Das blutet ja wie bekloppt», sagte einer, und die Kassiererin würgte und verschwand in der Küche. «Und ich sage euch, so fängt das an, hier, wo alles so versypht ist, da kriegt sie Aids.» -
    «Wie soll sie denn hier Aids kriegen», sagte einer, «da müßte ihr schon 'n Junkie auffen Daumen spucken.» - «Oder Sperma», wußte ein Student und erntete den wohl größten Lacherfolg seines Lebens. «Wichs ihr doch drauf», riet die Punkliese mit den Ananashaaren und wollte sich gar nicht mehr einkriegen. Aus der Küche kam jetzt eine bleiche Gestalt in fettigen Klamotten - der Herrscher über Kartoffelsalat aus dem Eimer und Würste in Folie -
    mit Verbandskasten. Er schnitt ein großes Pflaster ab, klebte es rund über meinen Daumen, und ich erzähle das nur, um zu erklären, weshalb ich dann eben doch mit italienischem Rotwein anfing.
    Das war die Woche mit dem Weinskandal, 28 Methanoltote allein in Italien, aber wie gesagt: Ich kann mich ja immer drauf verlassen, daß mir nichts passiert und ich mir meine Tode selber basteln muß.
    Irgendwann mußte ich mich ja dann doch mal in die Schlange vorm Eincheckschalter für den Airbus klemmen. Ich versuchte, im Stehen wegzusacken und ein bißchen zu dösen, aber da kam dieser österreichische Liedermacher im bodenlangen weißen Ledermantel. Vor Jahren hatte ich eine Reportage über ihn geschrieben, in Wien übrigens, auch so ein Kapitel - Wien bleibt Wien, das ist eine fürchterliche Drohung. Der Liedermacher erkannte mich wieder, Küßchen, Küßchen, «wos mochst denn du da in Berlin? I hob an Funk, waaßt, komm grad von Lanzarote, bissei ausspannen, servas, Butzi», und als er dann endlich abzog in seiner Parfümwolke, schob sich eine gute Sechzigerin mit knallrotem Mündchen ganz in Chanel auf mich zu. «Gell», sagte sie, «Sie sind's?»Ich nahm einfach mal an, daß ich es bin, denn ich war vor einer Woche im Fernsehen zu sehen in einer Sendung über die Sterilisation des Mannes, und da hatte ich mich mit einer rabiaten Feministin so ein bißchen geprügelt und eine gewisse Berühmtheit erlangt. «Nein so was», sagte die Rotmundige mit den Krokoschühchen entzückt, und

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