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Kolonien der Liebe

Kolonien der Liebe

Titel: Kolonien der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Heidenreich
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frei, laut und offen darüber sprechen kann. Ist es denn nicht auch, meine Damen und Herren, in der Tat ein schöner, ja, ein erregender Beruf, dem impotenten Teil der Menschheit zu neuen Freuden zu verhelfen? Ich stellte mir Scharen von Männern ohne Unterleib vor, Kunstpenisse aller Größen und Formen in Regalen an langen Wänden und in den drei bordeauxroten Koffern, und alle, die sich uns jetzt zuwandten - und es wandten sich uns ALLE zu - stellten sich dasselbe vor.
    «Vertreter für Kunstpenisse!» Er rief es federnd, rhythmisch, begeistert, er ließ mich nicht mehr aus den Augen, forderte nun Anerkennung, er sprühte, er brannte lichterloh, schilderte entsetzliche Schicksale. Wie vielen Bettlägerigen hatte er nicht schon helfen können! Den Querschnittgelähmten! Den Opfern schwerer Motorradunfälle! Den psychisch Kranken! Da schlägt keine Therapie mehr an, aber unser Kunstpenis bewirkt wahre Wunder, gibt das Selbstbewußtsein zurück, schenkt neuen Lebensmut, trocknet Frauentränen, denn - und noch einmal hob er entzückt die Stimme:
    «Der Geschlechtsverkehr gelingt damit quasi mühelos.»
    Quasi mühelos. Das Thema hatte nun alle Reisenden in der Warteschlange gepackt, bis auf die beiden verzweifelten kleinen Iraner ganz vorn, die unfreundlich gefilzt, ausgefragt und überprüft wurden. Berlins schlechte Nerven lagen wegen dieser Ami-Disco mal wieder offen auf dem Tisch.
    Mein Retter der Menschheit erzählte jetzt tüchtig aus seinem Leben, von Reisen, Tagungen und Anstrengungen war da die Rede, von Aufopferung und unermüdlichem Einsatz, und, ja, doch auch von Erfüllung, nicht wahr, und von freudigen Momenten warmen Glücks, und warum ich ihn nicht einmal besuche, wenn ich nach Oberursel komme? Aber unbedingt, mein Freund, und dann zeigst du mir deine Sammlung mit Kunstpenissen, und den Schönsten nehm ich mit für den schwulen Bruno.
    Geübte Reisende, die ich bin, kramte ich am Schalter so lange nach meinem Ticket, bis der Retter der Entmannten schon mal eingecheckt hatte bei Nichtraucher, und ich nahm dann natürlich Raucher. Und wenn ich die nächste Stunde neben einem sitzen müßte, der zwei Monte Christo á 18 Mark in fünfzig Minuten paffen würde - nur weg von diesem Kenner künstlicher Haare und Glieder.
    «Oh», sagte er, «Raucher, wie schade, wir sitzen nicht zusammen. »
    Ich balancierte auf den letzten Nerven neben einen Dicken, der nach Schweiß stank, als er seine Jacke auszog, und der den Rheinischen Merkur las. Ich schloß die Augen und versuchte, tot zu sein, obwohl ich noch gesehen hatte, daß der Blonde, mit dem ich gestern abend eigentlich hatte anbandeln wollen, in die Maschine stieg. Aber so was Gesundes konnte ich jetzt wirklich nicht ertragen.
    Wenn du im Flugzeug gerade wegsackst, begrüßen dich Captain Fisher und seine Crew an Bord ihres Clippers, wünschen dir einen guten Flug, erzählen dir, wie hoch wir sind und wie das Wetter in Frankfurt sein wird. Alles ist darauf aus, einen zu Tode zu quälen.
    Pünktliche Landung, und dann der Achtzehn-Kilometer-Gang durch den Frankfurter Flughafen zur Gepäckausgabe. Immer wieder ein Albtraum - Menschen Menschen Menschen, im Nadelstreifen, in neongrellem Sportzeug, im Kostüm, im Kaftan, im Burnus, mit Turban, mit Hut, mit Baseballkappe, Geishas, Mohrenfürsten und Reisende in englischem Tuch, Gestank, Krach, Gedrängel. Graue Gesichter, alle sind eilig, keiner sieht einen Sinn in gerade dieser Reise, jeder schwirrt entwurzelt umher, will nach Hause, weiß nicht, wo das ist. Alles Exotische ist mir zuwider, bunte Völkervielfalt kann ich auf den Tod nicht leiden, alles lenkt mich ab von dem, was ich eigentlich denken will, aber ich weiß schon nicht einmal mehr, was ich denken will. Ich beneide Emily Dickinson, die sich mit 26 Jahren in ihr Zimmer zurückzog, da dreißig Jahre bei voller Gesundheit blieb und herb-schöne Gedichte schrieb, oder die fette Droste, eingeklemmt in ihren Bodensee-Turm. Warum gehe ich immer und immer wieder aus dem Haus, wo ich doch weiß, was mich da erwartet?
    Eine Ansagerin aus dem Schweizer Fernsehen, ganz in Rosa, nickte mir zu, man kennt sich aus der Presse, und ich staunte darüber, daß selbst Schweizer ihre Heimat also ab und zu doch verlassen.
    Darüber habe ich noch nie nachgedacht, und es sieht richtig rührend aus, eine Schweizerin im Ausland - ganz verloren. Von allen Völkern, die ich kenne, mag ich die Schweizer am wenigsten.
    Nein, die Österreicher. Nein, doch die Schweizer. Ist ja auch

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