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Kolonien der Liebe

Kolonien der Liebe

Titel: Kolonien der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Heidenreich
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egal.
    Ich mag sie alle nicht.
    Als der Koffer endlich kam, war der Anschlußzug weg. Ehe ich am Flughafen noch weiter Völkergemisch beobachte, fahre ich lieber mit dem Taxi zum Hauptbahnhof und warte da auf den nächsten IC. Ich kann dann durch die Kaiserstraße gehen, mit den Junkies schwatzen und einen Schlagring oder ein gutes Klappmesser kaufen, das kann man immer brauchen. In Frankfurt hat Deutschland die Strafe gekriegt, die es für diesen Krieg verdient hat. Das seh ich immer gern.
    Der Taxifahrer war einer von diesen Cholerikern, die die Polizei hassen und danach gieren, die Straßenverkehrsregeln zu übertreten.
    Ich sagte: «Zwanzig Mark Trinkgeld, wenn ich den IC zwölf Uhr zwanzig noch kriege», und er sagte: «Hinten hinlegen. »
    Endlich einer, der dich in ein entlegenes Waldstück bringt und erwürgt, dachte ich und legte mich auf die Polster, die nach Rauch und Gekotztem stanken. Der Kerl brauste los, «zweiundzwanzig Prozesse», sagte er, «gegen die Polente, und alle gewonnen, denen zeig ich's, bis sie fix und fertig sind.»
    Angefangen hatte alles mit einer alten Frau, eingegipst bis zum Bauch, die mußte er die Treppe rauftragen. Einen Moment nur im totalen Halteverbot, kommt so ein Polizeiarsch und will ihn aufschreiben. «Den hab ich umgenietet», sagte mein Ritter der Autobahn, «und den Prozeß hab ich verloren, das war aber der einzige.» Von nun an nur noch Übertretungen - zu schnell gefahren, falsch geparkt, rechts überholt, waren aber alles Notfälle
    - «Lassen Sie mich weiter, oder Sie haben ein Menschenleben auf dem Gewissen!» - «Hätte ich den Mann hintendrin sterben lassen sollen?»
    Wir fuhren 170 Stundenkilometer, wo 80 erlaubt sind, und ich bekam Anweisung, bei Polizeistopp kein Wort zu sagen, nur röchelnd nach Luft zu schnappen und Spucke aus dem Mund laufen zu lassen, «Herzanfall, klaro?»
    Klaro. Komischerweise bekam ich beinah wirklich einen Herzanfall, aber ich bin doch robuster, als man denkt, und wir waren schneller als die S-Bahn am Hauptbahnhof.
    «Hochkommen!» Das Trinkgeld lehnte er ab, war ihm ein Vergnügen, Spaß muß sein bei der Beerdigung.
    Natürlich hatte der Zug zwanzig Minuten Verspätung, und ich konnte an einem klebrigen Stehtisch noch zwei Bier reinschütten und mir die Durchsagen anhören - Verspätung, Defekt in der Oberleitung, keine Heizung, kein Großraumwagen, kein Münztelefon im Zug.
    Scheiße. Ich fahre nur im Großraumwagen, weil ich Sechsmannabteile mit Konversation und belegten Broten nicht aushalte. Ich setz mich im Großraumwagen immer ganz nach hinten in die Nähe des Münztelefons und hör den Trotteln zu, die in der Kabine brüllen: «Hier ist Papi. Ich telefonier im Zug! Im Zuuuug!!! Sprich doch mal lauter, Irene! Ja, Verspätung. Weiß ich nicht. Ist alles gutgegangen bei Bergmann - Irene? Herrgott, sprich doch lauter. Ich hab keine Mark mehr, ich - Irene?»
    Und mit hochrotem Kopf kommt er dann zurück vom Telefonieren, und ich stell mir Irene vor. Ihr Papi ist einer von den Typen, die im Speisewagen immer zu mir an den Tisch kommen und fragen: «Ist hier noch frei?» und die keinen Hunger mehr haben, wenn ich antworte: «Ja, aber da drüben auch.»
    Kein Großraumwagen, ein Abteil mit einem alten Ehepaar. Ich machte wieder die Augen zu und spielte Tod oder Schlaf.
    «Also, Elli», sagte der Alte, «wenn dich die Kinder fragen, was du dir zu deinem Siebzigsten wünschst...»
    «Ich hab alles. Ich wünsch mir nichts.»
    «Du mußt dir aber etwas wünschen. Die Kinder wollen dir zum Siebzigsten was schenken.»
    «Was soll ich mir denn wünschen, für die paar Jahre, die ich noch hab.»
    Den Satz kenn ich von meiner Mutter, die seit dreißig Jahren mit wehem Blick die Kerzen anschaut und so tut, als war dieses Weihnachten ihr letztes. Ich machte die Augen einen Spalt auf und sah mir die Alte an - ein Kernkraftwerk, wie meine Mutter. Die würde auch den Neunzigsten noch feiern, in leidender Demutshaltung, dem Tod so nahe, diese starken, bösen alten Frauen, die immer und immer den Deppen an ihrer Seite überleben, und dann kommen endlich die schönen Jahre. Seit mein Vater tot ist, trägt meine Mutter himbeerrote Schuhe.
    «Wenn du dir nichts wünschst, bist du blöd, Elli», sagte der Alte.
    «Die Kinder haben genug Geld, die sollen ruhig zusammenlegen und dir was Anständiges schenken. Das seh ich doch gar nicht ein, einfach nichts. Das könnte denen so passen.»
    «Eine schöne Wolldecke.»
    «Wir haben doch eine

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