Kolonien der Liebe
beschweren.
Bei unserm vorigen Film war es noch schlimmer gewesen. Es war die Geschichte einer Reisegruppe in Fernost. Einer aus der Gruppe sondert sich ab, verliebt sich in ein asiatisches Mädchen und bleibt für immer in Bangkok. Ich war auch bei diesem Film zunächst Skriptgirl gewesen, mußte aber am Ende als Statistin mit einspringen, weil das Geld ausgegangen war und an allen Ecken und Enden gespart wurde. In Thailand hatten wir nur gerade die Außenaufnahmen drehen können, und für die Szenen im First-class-Hotel mieteten wir nun in Deutschland die große Eingangshalle und das Kaffeestüb-chen eines vornehmen Altenstifts in einem Kurbad an. Mit ein paar Umbauten wurde ein exotisches Ambiente geschaffen - niedrige Sitzmöbel kamen in die Halle statt der tiefen Samtsessel, an der Rezeption standen mandeläugige Mädchen in taubenblauen Seidensarongs, und auf den Rattantischchen wurden die Strohblumen durch Orchideen ersetzt. Die Eingänge waren mit Mahagoni-Imitaten und Messingverzierungen verkleidet worden, und über dem
«Kaffeestübchen» stand jetzt mit Bambusbuchstaben «Rattan Coffee Shop».
Die Alten, die im Haus wohnten, waren durch einen Anschlag am Schwarzen Brett von der Heimleitung informiert worden, daß für fünf Tage Dreharbeiten in der Halle und im Kaffeestübchen stattfänden, und wer wolle, könne gern zuschauen. Manchmal waren zwei alte Damen, feingemacht mit ihren besten Blusen und alten Perlenketten, zaghaft am Rand stehengeblieben, um ein wenig zuzuschauen, aber der Aufnahmeleiter hatte sie jedesmal unwirsch verscheucht. Aufnahmeleiter sind die Pest bei Dreharbeiten. Man braucht sie, aber sie sind hassenswerte und unsensible Kreaturen, die immer Jeans mit hängenden Ärschen tragen und billige Pullover, die nach Schweiß riechen. Die alten Damen waren dann traurig in den kleinen Lesesalon neben der Halle gehuscht, den wir nicht okkupiert hatten und wo ständig drei uralte Männer, einer davon im Rollstuhl, unter dem düsteren, riesigen Ölgemälde, das eine Ruine zeigte, mißmutig Bridge spielten. Ich hatte mir mal die Bücher im Glasschrank angesehen, abgegriffene, zerfledderte Bände mit Titeln wie «Eines Menschen Zeit», «Ich habe gelebt», «Warum ich Christ bin» oder «Der Engel mit dem Schwert» von Pearl S. Buck und «Der Gasmann» von Heinrich Spoerl. Mittendrin stand ein Buch falsch herum, mit dem Rücken nach hinten, und als ich es umdrehte, sah ich, daß es Nabokovs «Lolita» war. Das hat mich sehr gerührt, und in den folgenden Tagen beobachtete ich die alten Männer, um herauszufinden, wer der Schlingel sein könnte, der es heimlich las.
Ich tippte schließlich auf den alten General in dem blauen Blazer mit Goldwappen auf der Brusttasche. Er war ein großgewachsener, böse aussehender Mann mit einem schwarzen Krückstock mit silbernem Knauf. Herrisch ging er mitten durch die Halle, wenn wir gerade drehten, und der Aufnahmeleiter rang vergebens die Hände und versuchte, ihn zurückzuhalten. Ich habe, rief der General mit schneidender Stimme, mich in dieses Etablissement teuer genug eingekauft und zahle fünftausend Mark im Monat, da werde ich diese Halle durchqueren, wann, wie und wie oft ich will, junger Mann.
Und dann lief er mitten durch die Szene auf unsern Hauptdarsteller zu, der - dem Film entsprechend - in Bermudashorts und Hawaiihemd an der Rezeption stand, schlug ihm mit dem Stock an die Beine und sagte: Ich verlange, daß Sie sich anständig kleiden und hier nicht in diesem Aufzug herumlaufen. Er verdarb uns eine Szene nach der ändern, denn er ging oft ein und aus, und er begriff einfach nicht, daß es sich um einen Film handelte. Er und die beiden schüchternen Damen waren es auch, die sich auf der Tafel als Gäste eintrugen - Gäste für den «Ausflug in den Elefantenkraal», den wir laut Drehbuch für unsere Filmtouristen ausgeschrieben hatten. Wir konnten ihnen mit Engelszungen erklären, daß es doch hier, in einem deutschen Kurbad, keinen Elefantenkraal gäbe - sie waren nicht davon abzubringen, Mittwoch um fünf Uhr aufzustehen und mit uns zum Elefantenkraal zu fahren. Unsere Dreharbeiten gingen zum Glück an einem Montagabend zu Ende, aber ich bin sicher, sie standen in weißem Leinen und Khaki perfekt gekleidet Mittwoch früh um fünf am Portal und wurden ein letztes Mal von uns enttäuscht.
Einmal hatte der Regisseur für die beiden alten Damen Stühle an der Seite aufstellen lassen. Sie durften bei der Szene zuschauen, in der die Touristen im
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