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Kolonien der Liebe

Kolonien der Liebe

Titel: Kolonien der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Heidenreich
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die Treppe nur noch runterkomme, wenn ihn je, mand trage. Pit war tatsächlich doch noch aus dem zwölften Stock gesprungen, und der kleine Dichter war endlich auf Entzug.
    Mascha war mit irgendeinem Typen nach Ibiza gezogen, angeblich hatte sie Aids, aber das wußte niemand so genau, und der experimentelle Musiker spielte jetzt mit Brian Eno zusammen und hatte endlich Erfolg.
    Am Ecktisch saß der egozentrische Musiker und sagte: «Hey, Rita, hab ich dir schon erzählt, wie ich den Brasilianern mal beigebracht habe, was Tango ist?»
    Und Rita sagte: «Nein, erzähl.»

Winterreise
    Lieber Alban,
    ich bin hier in Wien, in diesem bitterkalten Januar, weil ich vor dir geflohen bin, so weit wie möglich. Hier kannst du mich nicht erreichen und nicht verwirren mit deinen hellen Augen, deinem langen Haar und deiner selbstbewußten Jugend. Dies ist eine böse, alte traurige Stadt, und ich bin eine böse, alte traurige Frau, die ihre Ruhe haben möchte vor schönen Kindern wie dir. Was hast du angerichtet, Alban? Ich war so entzückt, als ich dich zum erstenmal sah, ich war mehr als entzückt, ich war außer mir vor Leidenschaft für deine Schönheit. Du trugst ein grünweiß gestreiftes Hemd und helle Hosen, deine Haut war bronzebraun, du hattest beide Hände hinter dem Kopf verschränkt und hieltest dein Gesicht mit dieser hohen, geraden Stirn in die Sonne. Ich schaute dich an, und in dem Moment öffnetest du die Augen, sie waren hellgrau und dein Haar war goldfarben, und du lächeltest und botest mir mit einer Handbewegung an deinem Tisch in der Sonne einen Platz an. Alle anderen Tische waren besetzt. Ich setzte mich neben dich, und du schlössest deine Augen wieder und ich fürchtete, mein Herz würde zu laut schlagen. Ich bestellte mir einen trockenen weißen Wein und du dir noch einen Espresso, und wir lächelten uns zu. Als Kind hatte ich ein Buch über griechische Götter, die Götter sahen aus wie du. Aber sie bewegten sich nicht mit deiner Anmut, ich hätte immer nur sitzen und dir staunend zuschauen mögen, aber du zahltest, standest auf und fuhrst mit deinem Fahrrad davon.
    Ich bin gestern abend spät hier angekommen, ein Freund hat mir seine Wohnung zur Verfügung gestellt. Es muß sein, Rudolf, habe ich ihm am Telefon gesagt, ich muß ein paar Wochen ganz allein sein, glaub mir, es geht um Leben und Tod. Rudolf spielte in München Theater, und seine Wiener Wohnung stand leer, und für Dramen, in denen es um Leben und Tod ging, hatte er viel Verständnis. Erzähl, hatte er gesagt, aber was hätte es zu erzählen gegeben? Daß ich jeden Tag wieder in das Cafe ging, nur um dich zu sehen? Und tatsächlich warst du immer da, oft umgeben von Freunden, manchmal allein, wir nickten uns zu wie alte Bekannte, und ich wurde dein Bild in meinem Kopf nicht mehr los. Jemand rief dich: Alban!, und so bekam die Schönheit einen Namen.
    Ich mußte lange klingeln gestern abend bei der Hauswartin, die Rudolfs Schlüssel hatte. Jaja, brummte sie, der Herr Rudolf habe durchaus Bescheid gegeben, aber man komme spät, und natürlich sei die Wohnung nun kalt, man heize schließlich nicht ins Ungefähre, Stiege vier, dritte Tür, und immer gut abschließen!
    Rudolfs Wohnung ist ein unglaubliches Durcheinander von alten Möbeln, schönen Bildern und Plunder wie unzähligen indischen Kissen und Stapeln alter Theaterprogramme. Ein Kronleuchter hoch oben an der Decke mit bunten Glühbirnen gibt ein abscheuliches Licht, das Bett ist riesig groß und viel zu weich und tief, es gibt keinen Schreibtisch. Es ist so kalt! In der Küche muß man einen Gasboiler aufheizen, der gefährlich brüllt und tobt, und dann wird es ein kleines bißchen wärmer, aber am ersten Tag habe ich mir einen Topf mit heißem Wasser, in eine Decke gewickelt, unter die Bettdecke gestellt, um warme Füße zu bekommen. Und ich lag im Dunkeln dieser fremden Wohnung mit Gerüchen und Geräuschen, die ich nicht kannte, in einer Stadt, in der ich nie zuvor gewesen war, nur um von dir weg zu sein, Alban.
    Am vierten oder fünften Tag hast du dich zu mir gesetzt, und wir haben uns über Musik unterhalten. Du seist Pianist gewesen -
    gewesen? fragte ich, du bist doch höchstens fünfundzwanzig.
    Vierundzwanzig, hast du gelacht, aber das Klavierspielen vor Leuten würde dir keinen Spaß machen, die Konzerte, die schwarzen Anzüge, das feierliche Getue, du würdest nur noch für dich spielen und hier und da ein paar Jobs annehmen, irgendwas, manchmal als Musiker, meist

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