Kolonien der Liebe
Aushilfsjobs in Kneipen.
Ich war fast doppelt so alt wie du und hatte gerade mit dem Klavierspielen angefangen. Ich möchte irgend etwas von Schubert selbst spielen können, erzählte ich dir, ein bißchen verlegen, aber du fandest das nicht sentimental, sondern ganz wunderbar und wolltest mir sofort Unterricht geben. Ich war darüber tief erschrocken, denn du hattest schon soviel Unruhe in mir ausgelöst
- noch mehr Nähe hätte ich gar nicht ertragen können. Du warst einfach zu schön, Alban, ich weiß nicht, wie ich dir das erklären soll. Du warst perfekt. Du warst jung und wunderbar und fröhlich, du zeigtest mir alles, was ich für immer verloren hatte, es wurde mir unerträglich, in deiner Nähe zu sein.
Es war aber auch unerträglich, ohne deine Nähe zu sein. Nachts setzte ich mich auf mein Fahrrad und fuhr zu deinem Haus. Ich lehnte meine Stirn an die Hauswand und fühlte dein Herz hinter der Mauer klopfen und konnte mich nicht mehr losreißen. Jemand hatte mich gefragt: Ist Ihnen nicht gut? Und ich war erschrocken aufgewacht, ich war, auf meinem Rad sitzend, an deine Wand, an dich gelehnt, eingeschlafen.
Mein erster Morgen in Wien lenkte mich so ab, wie ich es mir gewünscht hatte. Ich mußte einkaufen - wohin geht man für Milch, für Brot - rechts die Straße hinunter, links? Wo ist die Post, wo der Briefkasten? Wo kann ich einen Stadtplan kaufen, bin ich weit vom Zentrum oder nah? Wo kann man frühstücken, und wie kommt man mit österreichischen Schillingen zurecht? Welche Zeitung liest man hier?
Fast habe ich dich vergessen können, aber in dem schmuddeligen Cafe, in dem ich landete, groß wie ein Bahnhof, mit blinden Spiegeln, einem schmutzigen Billardtisch und einer gähnenden Kellnerin mit gelben Haaren und schadhaften Zähnen bekam ich plötzlich eine solche Sehnsucht nach dir, nach deiner gelassenen Art, strahlend einen Raum zu betreten und ihn auszufüllen mit Lebensfreude und Kraft, daß ich mich ganz elend fühlte und weinen mußte. Ich trank einen Milchkaffee, und in der Musikbox sang Falco, der neulich in einem Interview gesagt hatte: «Wir sind immer vorn, und wenn wir hinten sind, dann ist eben hinten vorn.»
Man liest hier die Kronenzeitung, Alban, und es ist seltsam, wenn man keinen der Namen kennt, die darin stehen. Ich saß an meinem ersten Morgen in Wien vor einer nichtssagenden Zeitung, voller todestrauriger Verlassenheit, starrte auf die Zeilen und dachte: Alban, Alban.
Meine Einkäufe lenkten mich ab. An einer Straßenkreuzung erinnerte mich ein Schild an dich. Auf dem Schild stand: «Bitte führen Sie Blinde über die Straße.» Du hättest nicht geruht, bis du einen Blinden gefunden und herübergeführt hattest. Befehl ist Befehl! hättest du gesagt und gelacht. Ich kenne dich nur lachend -
bis auf dieses eine Mal, vor dem ich so weit geflohen bin, hierher, in diese tiefverschneite Stadt, in der es heute minus 22 Grad hat.
Mein Herz ist noch kälter. Die Häuser sind hoch und alt, und ich habe das Gefühl, irgendwo hinter den Gardinen steht der Kaiser Franz Joseph und schaut mißgestimmt auf seine Wiener, auf die vielen Hundehaufen und die verbitterten Rentner, die schnöseligen Jünglinge und die keifenden Weiber und würde gern noch mal ein wenig regieren und alles anders machen.
In meiner Straße - jetzt ist es schon meine Straße - gibt es ein Möbelgeschäft mit Namen Kazbunda, eine Pferdemetzgerei und ein «Därmegeschäft Zeppelzauer», was immer das sein mag. In Australien, sagte das Radio, sei eine andauernde Hitzewelle mit über 40 Grad, die Haie würden zu frech und hätten schon einige Schwimmer angegriffen. In Wien dagegen seien in den letzten Tagen zwölf Menschen erfroren, die meisten davon auf dem Heimweg vom Gasthaus, wie mitleidlos vermerkt wurde. Im Cafe Demel steht noch die Weihnachtskrippe im Fenster, allerdings mit rosa Pudeln aus Zuckerguß statt mit Ochs und Eselein.
Eines Tages hattest du mir vorgeschlagen, zusammen einen Ausflug zu machen. Wir sind mit dem Schiff über den Rhein gefahren, und ich habe die ganze Zeit darüber nachgedacht, ob es etwas Wunderbares oder etwas Peinliches war, was mir da passierte. Da stand ich nun so in Flammen, nach meinen vielen Liebes- und Ehegeschichten kam leichtfüßig ein schönes Kind wie du daher und brachte alles ins Durcheinander, was ich in meinen Gefühlen schon geordnet und beiseite gepackt hatte.
Es war ein kostbarer Ausflug. Wir haben Wein getrunken und gesungen «Ich weiß nicht, was soll es
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