Kolonien der Liebe
bedeuten, daß ich so traurig bin», als das Schiff die Loreley passierte, aber wir waren nicht traurig, wir lachten und hatten uns die Arme um die Schultern gelegt. Mutter und Sohn? Was mögen die Leute gedacht haben?
Du fühltest dich wohl in meiner Gegenwart, und ich, ich liebte dich so albern und lächerlich, wie Gustav von Aschenbach sich in Venedig am Knaben Tadzio zu Tode liebte.
Auf dem Flohmarkt habe ich mir eine Tasse gekauft, auf der steht: «Die Kohlen sind ein theures Guth, drum brenn sie nicht aus Übermuth», und ein altes Briefsiegel mit deinen Initialen - A. V. Ich weiß nicht, was ich damit will, aber ich schaue es immerzu an und presse es fest auf meine Hand, dann schneiden sich die Buchstaben A. V. ins Fleisch ein und bleiben eine Weile sichtbar.
«Ja zum Analverkehr!» steht auf der Wand, auf die ich immer schaue, wenn ich das Haus verlasse, und nebenan ist eine Weinhandlung, die in Stein gemeißelt über dem Portal mitteilt:
«Unsere Weine sind kostbar.»
Im Stephansdom habe ich eine Kerze angezündet und mich dann im Cafe Schwarzenberg aufgewärmt. Ein Mann spielte scheußlich perlende Walzer auf dem Klavier, und dazu ertönte eine Geige, obwohl gar kein Geiger zu sehen war - die Geigentöne kamen aus einem kleinen elektrischen Kasten. Über den Schubertring, vorbei am Beethovenplatz, durch die Mahlergasse, Kantgasse, Fichtegasse bin ich in mein seltsames Zuhause geflohen und habe das Radio angemacht. Ein Mann sang: «Was den Sonntag erst zum Sonntag macht, das ist der Gugelhupf, das ist der Gugelhupf.» Doch, Alban, natürlich hätte ich mir eine Liebsgeschichte zwischen uns beiden vorstellen können. Aber nicht so. Nicht mit diesen mehr als zwanzig demütigenden Jahren dazwischen. Jetzt wollte ich einfach nur ab und zu in deiner Nähe sein und mich anstecken lassen von dir, ja, ich fühlte mich neben dir auch schöner und jünger, du hast genug gestrahlt für uns beide, und dein unbekümmertes Flirten hat mir Spaß gemacht, noch.
Es schneit. Die Möwen fallen mit angefrorenen Flügeln vom Himmel, Eiszapfen an den Schnäbeln. In Paris gibt man nachts die U-Bahnschächte für die Penner zum Schlafen frei, so einen Winter hat Europa lange nicht erlebt. Mir fällt aus «Die letzten Tage der Menschheit» die Szene ein, in der die Kinder die Mutter um Essen anbetteln, und die Mutter verweist auf den Vater, der seit fünf Stunden unterwegs ist, um etwas zu besorgen. Schließlich kommt der Vater, und die Kinder schreien: «Vater, Brot, Brot!» Der Vater aber streckt ihnen die leeren Hände entgegen, lacht und ruft:
«Kinder! Wunderbar! Rußland verhungert!» Ich habe dich nie im Winter gesehen, kenne dich nicht mit Pullovern, hochgezogenen Schultern, in dicken Mänteln. Du bist der Sommer, dieser eine Sommer, den wir hatten und in dem ich in deiner Nähe herumstreunte, um deine braune Haut, deine weißen Hemden von weitem zu sehen.
Im Fernsehen ist eine Sendung über Glenn Gould. Weißt du noch, wir haben uns ausgemalt, daß im Himmel, falls es einen Himmel gibt, Gott zu Füßen von Glenn Gould sitzt und ihm zuhört.
Falls Gott Ohren hat zu hören. Ich gehe durch Wien, als ginge ich mit dir, Alban. Hier wohnte die Bachmann, da wohnte Mozart, der nur wenig älter geworden ist als du und der nicht aufgegeben hat, vor Höflingen zu spielen. Ich muß dir etwas gestehen, Alban -
schon sehr früh habe ich über dich gedacht: Charakter hat er nicht.
Wer die Musik so mit leichter Hand wegwirft wie du, was ist das für ein Mensch? Du warst nie wirklich ernst, du hast nichts gelesen, du warst niemals pünktlich, du trinkst zuviel und schon zu früh am Tag - ich habe sehr bald gesehen, daß deine Anmut, deine sanfte Schönheit, deine atemberaubende Gelassenheit und Geschmei-digkeit, daß das alles vielleicht nur noch diesen einen Sommer dauern würde. Ich bin davon überzeugt, daß ich recht habe. Du wirst schnell gewöhnlich werden wie alle, aber in diesem Sommer hattest du die Aura des Unsterblichen um dich. Es ging etwas Blühendes und Mitreißendes von dir aus, und es riß mich mit -
auch ich war in diesem Sommer noch einmal fast jung, fast schön, ganz gewiß sehr glücklich mit dem wehen Ziehen, das das Glück bekommt, wenn man weiß, daß es ja gar kein Glück gibt.
Durch den tiefverschneiten Burggarten bin ich zum Kunsthis-torischen Museum gelaufen und habe mich in den bahnhofsgroßen Sälen erschlagen lassen von Tiepolos, Tizians und Tintorettos, von Engeln, Jesusknaben und
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