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Kolonien der Liebe

Kolonien der Liebe

Titel: Kolonien der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Heidenreich
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Göttergetümmel, und niemand auf den Bildern sah aus wie du, dabei gehört dein Gesicht in dieses Land Italien und in diese Jahrhunderte.
    Ich würde dir gerne in Saal X Breughel zeigen, dir, der du sicher flach hinschaust auf ein Bild und es gut oder nicht gut findest. Du müßtest sehen, wie die Steinmetze vor einem König auf den Knien rutschen, vor ihm, dessen seidigen Händchen man ansieht, daß er noch nie im Leben gearbeitet hat, dagegen ihre Hände! Du müßtest die Kreuztragung Christi sehen, die bei Breughel natürlich in den Niederlanden stattfindet, auf Golgatha steht eine Windmühle. Man muß suchen, ehe man den Christus unter all den wimmelnden Bauern und Handwerkern und Geschäftsleuten findet, und dann stellt man fest: nicht einer schaut zu ihm hin! Sie sind beschäftigt, und er trägt zwischen ihnen, unbeachtet, sein Kreuz, kein Mensch hat Zeit und Lust, sich das anzusehen, und der einzige, der Jesus ansieht, ist der Landsknecht mit der Lanze, der ihn in die Seite stechen wird.
    Weißt du, Alban, wenn wir beide die ersten und einzigen Menschen auf der Welt wären - was für eine Liebe könnten wir leben! Aber ich schleppe meine Geschichte mit herum, und du gibst dir schon mit vierundzwanzig Jahren keine Mühe mehr, du hast bemerkt, daß du schön bist, du denkst, das genügt. Weißt du noch, wie wir zu Abend gegessen haben, und der alte Mann hat Harfe gespielt? Er hat dich angesehen mit demselben Blick wie ich dich ansah, und seine und meine Augen trafen sich, und wir verstanden uns voller Wehmut: was für ein schönes Kind! Wie lang war das alles her für ihn und mich, und wie bald wird es vorbei sein für dich!
    Ich war in der Oper, natürlich in «La Traviata». Ich bin Geschichten wie der unsern auf der Spur, Alban, sie alle sollen mir beweisen, daß eine solche Liebe nicht möglich ist. Es gibt keine Chance für Violetta und Alfrede, und bestimmt hätte ich wieder geweint, wären nicht hinter mir zwei unglaubliche Wiener Damen in Goldbrokat gesessen und hätten getuschelt: «Ja, der Carreras, mehr wie singen kann er halt nicht!» In den gefährlichsten Momenten rettet uns immer Trivialität. Als du mich küssen wolltest nach diesem Abendessen, fiel mir in dem Augenblick ein Ohrring hinunter, wir bückten uns gleichzeitig, stießen mit den Köpfen zusammen und lachten. Ich wollte dich nicht küssen, Alban, ich wollte dich anstarren und dich lieben, am liebsten hätte ich dich unter Glas gesetzt, damit du nicht so rasch verdirbst.
    In der Kirche zur heiligen Maria von den Engeln wischte ein alter Mann den Kachelboden, als ich mit meinen drecktriefenden Stiefeln aus dem Tauwetter hereinkam. Ich zögerte an der Tür, aber er sagte: «Kommens nur, dem lieben Herrn Jesus macht das nix, der schaut eh ins Herz und nicht auf die Fuß.» Ich wünschte, du wärest ein Mensch, dem ich all so etwas erzählen könnte, Alban, aber das bist du nicht. Du bist oberflächlich und flüchtig und hörst nicht zu, und es hat dir gefallen, mich zu verwirren. Als ich das merkte, hast du mich nicht mehr verwirrt. Je weiter ich innerlich Abstand von dir nahm, desto näher bist du mir gerückt.
    Jetzt plötzlich wolltest du mich haben, oh, mein Gott, weil du alle haben wolltest, weil alle dich haben wollten, weil es nichts anderes bedeutete als einen weiteren Sieg.
    In Wien gibt es wohl keinen Zentimeter Boden, auf dem nicht schon Blut geflossen ist. Selbst in den Kirchen militärische Votivtafeln: «Zur Erinnerung an das k. u. k. reitende Artillerie-regiment und seine Toten 1850-1918», «Dem Andenken des k. u.
    k. Dragonerregiments Kaiser Franz No. I und seiner Gefallenen 1768-1918», «In treuem Gedenken an das Ulanenregiment Nr. I und seine Toten 1791-1918». Den Nobelpreis für Schwermut, Niederlage, Tristesse an diese Stadt Wien! Ich bin froh, hierhergereist zu sein, wie hätte ich nach diesem Sommer mit dir etwas Heiteres ertragen können.
    Was tue ich den ganzen Tag ? Ich spaziere durch die kalte Stadt, wärme mich ab und zu in einem Cafe auf, besuche Kirchen, Museen, denke nach, denke nicht nach. Einmal, im Spätsommer, hatte ich ein solches Verlangen danach, dich nur zu sehen, daß mir - es war mitten in der Innenstadt - die Tränen vor Qual in die Augen schössen, nur einen Blick auf ihn, dachte ich, nur sehen, wie er sich bewegt -und im selben Augenblick kamst du engumschlungen mit einem jungen Mädchen aus einem Modegeschäft. Ich zog dich mit den Augen in mich hinein, ich sah mich satt und gesund, nein, das

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