Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)
ihnen legitim – sie hatten den größten Teil Spaniens erobert, ihre Landsleute ausgebeutet und, da sie sich zum Islam bekannten, das Christentum abgelehnt; aus ähnlichen Gründen versklavten die muslimischen Gegner bedenkenlos ihre spanischen Kriegsgefangenen. Dagegen hatten sich die meisten Indios den Spaniern gegenüber nichts zuschulden kommen lassen, und da die indigenen Amerikaner nie etwas vom Christentum gehört hatten, konnten sie sich auch nicht von ihm abwenden. 1493 löste Papst Alexander diesen Gewissenskonflikt. Er stattete die Herrscher mit «voller und unumschränkter Gewalt, Autorität und Oberhoheit jeglicher Art» über die Taino von Hispaniola aus, vorausgesetzt, sie entsandten «würdige, gottesfürchtige, geschulte, geschickte und erfahrene Männer …, auf dass sie die vorgenannten Einwohner im katholischen Glauben unterrichten und sie zu guten Sitten erziehen». Eine Eroberung war akzeptabel, wenn sie stattfand, um den Eroberten das Heil zu bringen. [584]
Tatsächlich hatten die Spanier, die in die neuen Länder gingen, wenig Interesse an der Evangelisierung. Obwohl sie selbst häufig fromm waren, interessierten sie sich mehr für die Arbeitskraft als die Seele der Indianer. [585] Colón war ein schönes Beispiel. Ungeachtet seines aufrichtigen, leidenschaftlichen Glaubens hatte er Isabella 1495 gegen sich aufgebracht, weil er 550 gefangene Taino nach Spanien schickte, um sie als Galeerensklaven zu verkaufen – damals gab es noch viele Galeeren auf dem Mittelmeer. Colón war der Meinung, es sei gerechtfertigt, Kriegsgefangene zu versklaven – er behandelte die Indianer, die La Isabela angegriffen hatten, wie die Spanier seit jeher mit feindlichen Soldaten verfuhren. Außerdem erklärte er, das Schicksal dieser Indianer würde andere davon abhalten, sich aufzulehnen. Isabella war da ganz anderer Meinung. Langsam wuchs die Empörung der Königin, als sie sah, dass immer mehr angekettete Taino auf den Sklavenmärkten Sevillas auftauchten. In einem Wutanfall befahl sie 1499 allen Spaniern, die Indianer gekauft hatten, ihre Sklaven wieder nach Amerika zurückzuschicken. Auf Nichtbefolgung des königlichen Erlasses stand die Todesstrafe. [586]
Offenbar war die Königin vor allem entrüstet über die Anmaßung der Kolonisten – sie setzten sich über alle Anordnungen hinweg und versklavten die Falschen. Aber ihr war sicherlich auch klar, dass sich die Krone noch nicht mit dem grundlegenden Problem auseinandergesetzt hatte. Einerseits hatte der Papst Spaniens Eroberung gerechtfertigt, weil sie den Missionaren ermöglichte, die Indianer zu bekehren – ein Ziel, dass sich schwerlich erreichen ließ, wenn man sie in Scharen versklavte. Andererseits sollten die Kolonien zum Ruhm Spaniens beitragen, was sicherlich nicht möglich war, ohne Arbeitskräfte zu requirieren. Anders als England hatte Spanien kein institutionalisiertes System der Indentur – der Vertragsknechtschaft. Und anders als England konnte es auch nicht auf ein Heer von Arbeitslosen zurückgreifen, die sich nach Übersee locken ließen. Die Monarchen glaubten, Spanien könne nur von seinen Kolonien profitieren, wenn es die Indianer als Arbeitskräfte nutzte.
1503 lieferten sie eine Lösung des Dilemmas: das
encomienda
-System. Einzelne Spanier wurden Treuhänder indigener Bevölkerungen und mussten garantieren, für deren Sicherheit, Freiheit und religiöse Unterweisung zu sorgen. Wie moderne Schutzgelderpresser ließen die Spanier ihre Indianer für «Sicherheit» mit Arbeit bezahlen. Die
encomienda
ist gewissermaßen der Versuch, die von Adam Smith vorgebrachten Einwände gegen die Sklaverei zu entkräften. Indem die Monarchen die Anforderungen an die indigenen Amerikaner einschränkten, versuchten sie, die möglichen Gründe für eine Revolte zu mindern – zum Nutzen der Spanier, die sie beschäftigten. [587]
Es klappte nicht. Weder die Indios noch die Konquistadoren konnten sich für das
encomienda-
System erwärmen. De jure waren Hispaniolas Indianer freie Menschen, deren Städte und Dörfer noch immer von ihren eigenen Herrschern regiert wurden. De facto aber hatten diese Herrscher wenig Macht, und die Arbeiter wurden häufig als Sklaven behandelt. Den
encomenderos
, den Treuhändern, widerstrebte es, mit den Taino-Führern zu verhandeln, was mehr Takt und Feingefühl verlangte, als sie in der Regel aufzubringen bereit waren. Wenn indigene Arbeiter keine Lust hatten, zum Dienst zu kommen – warum sollten sie
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