Kolyma
man fest, dass Ihre Eltern sich um Elena kümmern. Raisa ist verschwunden.«
Alarmiert setzte Leo sich auf. »Sie hat doch Personenschutz.«
»Wir können niemanden beschützen, der nicht beschützt werden will.«
»Sie wissen also nicht, wo sie ist?«
»Tut mir leid, Leo.«
Leo sank zurück. Er hatte nicht den geringsten Zweifel, dass Frajera etwas mit Raisas Verschwinden zu tun hatte.
* * *
Als sie in der Innenstadt ankamen, war es zwei Uhr morgens. Der Kontrast zur Wildnis von Kolyma war so extrem, dass Leo vor Verwirrung regelrecht schlecht wurde, ein Gefühl, das von Schlafmangel und nagender Angst noch verschlimmert wurde. Sie hielten mitten auf der Moskworezkaja Naberscbnaja, der an der Moskwa entlangführenden Hauptstraße. Dieser Punkt war auf der Karte markiert. Der Fahrer stieg aus, Panins Leibwächter ebenfalls. Die beiden Beamten überprüften die Umgebung, dann kehrten sie zurück. »Hier ist nichts.«
Leo kletterte aus dem Wagen. Es goss in Strömen, schon nach wenigen Sekunden war er vollkommen durchnässt. Die Straße war leer. Er konnte hören, wie der Regen in einen Abwasserschacht lief. Leo bückte sich. Der Gulli befand sich direkt unter dem Wagen.
»Setzen Sie vor.«
Die Limousine fuhr ein Stück, bis der Deckel zum Vorschein kam. Leo stemmte ihn auf und schob ihn beiseite. Links und rechts von ihm standen die Leibwächter mit gezückten Waffen. Es ging tief hinunter. Auf der Leiter befand sich niemand.
Leo kehrte zum Wagen zurück. »Haben Sie Taschenlampen?«
Panin nickte. »Im Kofferraum.«
Leo öffnete den Kofferraum, prüfte die Lampen und reichte eine Lasar.
Leo übernahm die Führung und stieg als Erster hinein. Er musste an die damals vom Eis abgerissene Haut an seinen Händen denken; aber auch wegen der Schmerzen in seinen Knien lief ihm ein Schauer über den Rücken. In Strömen ergoss sich der Regen über die Einstiegskante und klatschte ihm auf Hände, Nacken und Gesicht. Lasar folgte ihm. »Viel Glück!«, rief Panin.
Sobald ihre Köpfe unter der Oberfläche verschwunden waren, wurde von oben scheppernd der Deckel über den Kanalschacht geschoben, was den Regen ebenso abhielt wie das Licht von der Straße. In der Stockfinsternis verharrten sie einen Moment und schalteten die Taschenlampen an, dann kletterten sie weiter hinunter.
Als sie den Fuß der Leiter erreicht hatten, spähte Leo angestrengt in den Haupttunnel hinein. In ihm toste eine weiße, strudelnde Brühe. Der heftige Regen hatte für Hochwasser gesorgt, und statt eines gemächlichen Abwasserstroms schossen jetzt wahre Kaskaden durch die Stadt. Leo war sich nicht sicher, ob sie hier überhaupt weiterkamen. Hoffentlich war da unten irgendein Vorsprung. Um es herauszufinden, ließ er sich ab und trat vorsichtig tastend mit dem Stiefel auf. Der schmale Sims war vom Wasser überspült.
Leo formte die Hände zu einem Trichter und schrie Lasar gegen den Lärm zu: »Halten Sie sich ganz dicht an der Wand!«
Mit Leos Hilfe kletterte Lasar nach unten. An die Wand gedrückt, leuchteten sie auf der Suche nach irgendeinem Hinweis ihre Umgebung ab. In einiger Entfernung, etwa hundert Meter weiter den Tunnel hinein, sahen sie ein Licht.
Über den schmalen Mauervorsprung machten sie sich in diese Richtung auf den Weg. Der Wasserspiegel stieg immer weiter, die Brühe schwappte ihnen um die Knie. Jeder Schritt forderte ihnen allerhöchste Konzentration ab. Als sie nur noch ein paar Meter entfernt waren, erkannte Leo eine Laterne, die über den Umrissen einer Tür aufgehängt war. Er schabte den zähen Glibber ab, der die Wand bedeckte, und drückte die Tür auf. Von hinten drang Wasser ein und ergoss sich über eine Wendeltreppe, die noch weiter nach unten führte. Erleichtert, dass sie den gefährlich schmalen Sims hinter sich lassen konnten, schlüpften sie rasch hinein und drückten die Tür hinter sich zu, um das Wasser zu stoppen.
In dem schmalen Treppenhaus war die Luft heiß und feucht. Schweigend stiegen sie hinab, in dem engen Raum hallte selbst ihr Atmen wider. Nach etwa fünfzig Stufen trafen sie auf eine weitere Tür. Leo drückte fest gegen den Stahlrahmen, und die Scharniere quietschten. Hier gab es keinen Abwassergestank, kein Geräusch von fließendem Wasser mehr - alles war still.
Leo drehte sich zu Lasar um. »Bleiben Sie hier.«
Leo betrat einen neuen Tunnel und suchte ihn mit der Taschenlampe ab. Die Wände waren trocken. Sein Fuß stieß gegen ein Gleis - er war in einem Metrotunnel.
Wie ein
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