Kolyma
diesen sinnlosen Mord drehte er sich zu Frajera um. »Warum?«
Sie gab keine Antwort, keine Erklärung, sondern stand nur drohend über ihm. Leo schaute wieder hinab auf Lasars Leichnam, den er in den Armen hielt. Der Mann, den er erst verraten und dann gerettet hatte, der Mann, dem er sein Leben zu verdanken hatte, war tot. Leo beugte sich hinab und legte den Toten auf die Straße.
Frajera riss Leo am Hemd. »Steig vorne in den Wagen ein!«
Mit ihrer Waffe wedelte sie Raisa zu. »Du auch.«
Leo stand auf und setzte sich auf den Fahrersitz. Raisa saß auf dem Beifahrersitz. Auf dem Rücksitz lag Soja, ihre Arm- und Fußgelenke waren gefesselt. Im Mund hatte sie einen Knebel, und aus ihren Augen sprach die nackte Angst. Der Wagen war umgebaut worden, zwischen ihnen befand sich ein Gitter. Beide pressten ihre Hände gegen das Drahtgeflecht. »Soja!«
Auf der anderen Seite drückte Soja ihr Gesicht gegen das Gitter und flehte durch den Knebel um Hilfe. Ihre Finger berührten sich. Leo rüttelte an dem Gitter, aber es ließ sich nicht herausreißen.
Eine der hinteren Türen wurde geöffnet. Frajera beugte sich hinein, schnappte sich Soja und zerrte sie aus dem Wagen. Leo wirbelte herum und versuchte die Fahrertür aufzubekommen, aber sie war abgeschlossen und ließ sich von innen nicht öffnen. Raisa rüttelte auf ihrer Seite ebenfalls ohne Erfolg am Griff. Frajera und ihr Gehilfe schleppten Soja zum Kofferraum. Der Mann holte einen Getreidesack heraus und hielt ihn auf, während Frajera Soja hineinsteckte.
Leo wälzte sich zur Seite und zielte mit den Stiefeln direkt auf das Seitenfenster. Wie ein Maultier trat er immer wieder zu, doch seine Sohlen prallten von dem Fenster zurück und konnten es nicht durchbrechen.
»Leo!«, schrie Raisa.
Leo krabbelte hinüber auf Raisas Seite, die zum Ufer wies. Frajera und ihr Gehilfe trugen gerade den Sack davon. Soja versuchte sich zu befreien, sie wand sich, trat um sich und kämpfte um ihr Leben. Der Gangster schlug sie mitten ins Gesicht und brach damit ihren Widerstand lange genug, dass er sie in den Sack stopfen und diesen zuschnüren konnte. Gemeinsam hoben sie den Sack hoch, er war offenbar mit Gewichten beschwert. Sie legten die bewusstlose Soja auf die Brückenmauer. Leo presste den Kopf gegen die Fensterscheibe und musste mitansehen, wie der Sack von der Brücke gestoßen wurde. Er beobachtete noch kurz, wie er dem Fluss entgegenfiel.
Frajera hockte sich auf die Motorhaube und lehnte sich an die Windschutzscheibe. Ihre Augen glühten, sie leckten Raisas und Leos Schmerz auf wie eine Katze die Sahne. Vollkommen außer sich schlug Leo auf die Windschutzscheibe ein, trommelte immer wieder sinnlos dagegen, blieb jedoch hinter dem Panzerglas gefangen. Frajera sah ihm einen Moment lang zu und ergötzte sich an seiner Hilflosigkeit, dann sprang sie vom Wagen und setzte sich auf den Sozius eines Motorrads. Leo hatte noch nicht einmal bemerkt, dass zwei Maschinen neben ihnen gehalten hatten.
Leo in seiner Falle trat jetzt gegen das Zündschloss, bis die Drähte freilagen. Er schloss die Zündung kurz und trat aufs Gaspedal. Dann ließ er den Motor aufheulen und schien Frajera verfolgen zu wollen.
»Leo!«, rief Raisa. »Soja!«
Doch Leo war gar nicht hinter Frajera her. Kaum hatte der Wagen ausreichend Geschwindigkeit aufgenommen, riss Leo das Steuer nach links in Richtung der Begrenzungsmauer. Das Fahrzeug krachte gegen den Rand der Brücke und riss an der Seite auf. Der Motor rauchte, die Räder drehten auf dem Rinnstein durch. Leo sah sich nach seiner Frau um. Raisa hatte sich den Kopf aufgeschlagen, war aber trotzdem schon aus dem Sitz und kletterte aus der kaputten Seite des Wagens hinaus. Schwankend folgte er ihr bis zu der Stelle, wo Soja hinuntergeworfen worden war.
Raisa sprang als Erste, Leo hinterher. Er sah noch, wie Raisa ins Wasser eintauchte, dann schlugen seine Beine auf der Wasseroberfläche auf. Unter Wasser zog die Strömung sie flussabwärts. Leo wurde tiefer hinabgezogen, widerstand aber dem Impuls, wieder zur Oberfläche zu schwimmen, und stieß sich stattdessen mit der Strömung weiter nach unten, bis dorthin, wohin Soja möglicherweise abgesunken war. Er wusste nicht, wie tief der Fluss war, schwamm aber mit immer kräftigeren Stößen nach unten. Seine Lungen brannten. Jetzt berührten seine Hände den Bodenschlick. Er blickte sich um, konnte aber nichts sehen. Das Wasser war pechschwarz. Er wurde nach oben gezogen und versuchte
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