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Kolyma

Kolyma

Titel: Kolyma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Rob Smith
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nicht zu wollen. Sie zog es vor, Sie wegzuschicken und Ihre Strafe zu etwas viel Schrecklicherem auszudehnen.«
    »Und Sie haben dem zugestimmt.«
    Panin schien überrascht, dass Leo noch einmal betonte, was doch ohnehin auf der Hand lag. »Ja, ich habe zugestimmt. Ich habe Generalmajor Gratschew versetzen lassen und mich selbst als Ihren engsten Berater eingesetzt, damit Sie auch die richtigen Entscheidungen trafen - die Entscheidungen, die wir von Ihnen wollten. Und dann habe ich die notwendigen Papiere beschafft, mit denen Sie in den Gulag 57 gelangen konnten.«
    »Sie und Frajera haben das also alles von langer Hand geplant?«
    »Wir haben nur auf den richtigen Moment gewartet. Als ich dann Chruschtschows Rede hörte, wusste ich, dass es an der Zeit war, wir mussten handeln. Die Reformen gingen zu weit.«
    Leo stand auf und trat auf Nina zu. Besorgt stand auch Panin auf, er war nervös.
    Leo legte ihr die Hand auf die Schulter. »Haben wir nicht auf diese Weise früher unsere Verdächtigen verhört? Mit einem nahen Angehörigen dabei, und jeder wusste, warum. Wenn der Verdächtige nicht die richtige Antwort gab, würde man den Angehörigen bestrafen.«
    »Aber ich beantworte ja Ihre Fragen, Leo.«
    »Sie haben den Mord an Männern und Frauen angeordnet, die dem Staat gedient haben?«
    »Viele von ihnen waren selber Mörder. Diese Leute hätten in meiner Lage dasselbe getan.«
    »In was für einer Lage?«
    »Leo, diese unüberlegten Reformen stellen für unseren Staat eine riesengroße Gefahr dar. Sie sind bedrohlicher als Stalins Verbrechen und sogar noch bedrohlicher als der Westen. Frajeras Morde waren nur ein Blick in die Zukunft. Die Millionen von Menschen, die wir als herrschende Partei ungerecht behandelt haben, hätten revoltiert, genauso wie die Gefangenen an Bord der Stary Bolschewik und die im Gulag. Solche Szenen hätten sich in jeder Stadt und jeder Provinz abgespielt. Ihnen ist offenbar entgangen, dass wir uns in einem unterschwelligen Kampf um das Überleben unserer Nation befinden. Die Frage ist nicht, ob Stalin nun zu weit gegangen ist oder nicht. Natürlich ist er das. Aber die Vergangenheit können wir nicht mehr zurückdrehen. Und unsere Autorität gründet auf der Vergangenheit. Wir müssen also so vorgehen wie immer: mit eiserner Hand. Wir können nicht einfach Fehler zugeben und darauf hoffen, dass die Bürger uns trotzdem noch lieben. Es ist nicht damit zu rechnen, dass sie uns überhaupt je lieben werden. Also müssen sie uns fürchten.«
    Leo nahm seine Hand von Ninas Schulter.
    »Sie haben bekommen, was Sie wollten. Die Geheime Rede ist zurückgezogen worden. Sie brauchen Frajera nicht mehr. Überlassen Sie sie mir. Gewähren Sie mir dieselbe Rache, die Sie auch ihr gewährt haben. Dass Sie Frajera damit verraten, braucht Ihnen keine Gewissensbisse zu machen. Alle anderen haben Sie ja auch verraten.«
    »Leo, mir ist klar, dass Sie keinerlei Grund haben, mir zu trauen. Aber ich gebe Ihnen trotzdem einen Rat: Vergessen Sie Frajera. Vergessen Sie sie vollkommen. Lassen Sie mich dafür sorgen, dass Elena aus dem Krankenhaus entlassen wird. Danach können Raisa und Sie aus der Stadt ziehen, weit weg von all den Erinnerungen. Ich besorge Ihnen eine andere Arbeit. Was immer Sie machen wollen.«
    Leo blickte Panin direkt in die Augen. »Arbeitet sie immer noch für Sie?«
    »Ja.«
    »Und woran?«
    »Diese Rede hat uns im eigenen Land und auf internationaler Ebene geschwächt. Als Antwort darauf müssen wir ein klares Zeichen der Stärke setzen. Deshalb sind wir dabei, im Ausland einen Aufstand zu inszenieren, irgendwo im Sowjetblock. Kleine, unbedeutende Krawalle, die wir dann aber gnadenlos niederschlagen werden. Der KGB hat eine Reihe ausländischer Zellen etabliert, die, über ganz Osteuropa verstreut, Unruhe entfachen sollen. Eine dieser Zellen befehligt Frajera.«
    »Wo?«
    »Hören Sie auf meinen Rat, Leo. Diesen Kampf können Sie nicht gewinnen.«
    »Wo ist sie?«
    »Sie können sie nicht schlagen.«
    »Womit könnte sie mir schon noch wehtun?«
    »Sie sollten wissen, Leo, dass Ihre Tochter Soja lebt.«

Osteuropa, Sowjetzone
    Ungarn, Budapest

    22. Oktober

    So schnell sie konnte, marschierte Soja zum Opernhaus, dem Übergabeort für ihre illegale Fracht. Ihre Taschen quollen schier über von Munition, insgesamt hundert Patronen waren es im Ganzen. Die Spitzen waren kreuzförmig eingekerbt, damit die Kugel sich beim Eintritt in den Körper vierteilte. Trotz der Kälte war Soja vor

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