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Kolyma

Kolyma

Titel: Kolyma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Rob Smith
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der Grund und Boden mitten in der Stadt für ein wichtiges Bauprojekt benötigt. Alle, die etwas zu sagen hat ten, waren einer Meinung: Diese Kirche, die noch nicht einmal zu den wichtigsten Moskaus zählte, sollte abgerissen werden.
    Was sich hinter dieser beschämenden Argumentation verbarg, war Feigheit. Nachdem die kirchlichen Würdenträger während des Krieges sämtliche Gemeinden hinter Stalin versammelt hatten, waren sie jetzt nur mehr Instrumente des Staates, ein Ministerium des Kremls. Der Abriss war eine Demonstration dieser Unterwerfung. Diese Sprengung hier diente nur einem einzigen Zweck, nämlich die Ergebenheit der Kirche zu beweisen. Ein himmelschreiender Akt der Selbstverstümmelung, um zu zeigen, wie harmlos, fügsam und bezähmt die Religion war. Man brauchte sie gar nicht mehr weiter zu verfolgen.
    Lasar verstand die Taktik hinter diesem Opfer. War es nicht besser, eine einzige Kirche zu verlieren als alle? Als junger Mann war er Zeuge geworden, wie theologische Seminare in Arbeiterbaracken umfunktioniert worden waren und Kirchen in antireligiöse Ausstellungsräume. Ikonen hatte man als Feuerholz benutzt, Priester inhaftiert, gefoltert und exekutiert. Permanente Verfolgung oder kritiklose Unterwürfigkeit - das waren die Alternativen gewesen.

    * * *

    Jekabs hörte das Lärmen der Menge, die sich draußen versammelte, wie sie aufgeregt wartete, dass es endlich losging. Er war spät dran, eigentlich hätte er schon so weit sein sollen. Doch in den letzten fünf Minuten hatte er nichts unternommen, hatte nur die letzte Sprengladung angestarrt und sich nicht gerührt. Hinter sich hörte er das Quietschen der Tür und blickte über die Schulter. Es war sein Kollege und Freund, er verharrte auf der Türschwelle, als ob er Angst habe einzutreten. Er rief ihn an, seine Stimme hallte von den Wänden wider. »Jekabs! Was ist los?«
    »Gar nichts«, antwortete Jekabs. »Bin gleich so weit.«
    Sein Freund zögerte einen Augenblick, dann fuhr er mit leiserer Stimme fort: »Heute Abend betrinken wir uns, wir zwei, und feiern deine Pensionierung. Morgen früh hast du bestimmt fürchterliche Kopfschmerzen, aber abends geht es dir dann schon besser.«
    Jekabs musste lächeln angesichts dieses Trostversuchs seines Freundes. Die Schuldgefühle würden auch nicht schlimmer sein als ein Kater, sie würden verschwinden.
    »Noch fünf Minuten.«
    Und damit ließ sein Freund ihn in Ruhe.
    Wie in der schlechten Parodie eines Gebets, schweißtriefend, kniete Jekabs sich mit schlüpfrigen Fingern hin. Er wischte sich das Gesicht ab, aber das brachte nichts, sein Hemd war schon klatschnass. Bring die Sache zu Ende! Danach würde er nie wieder arbeiten müssen. Morgen würde er mit seiner kleinen Tochter am Fluss spazieren gehen. Und übermorgen würde er ihr etwas kaufen und zusehen, wie sie sich freute. Ende nächster Woche hätte er die Kirche schon vergessen, ihre fünf goldenen Kuppeln und wie sich ihr kalter Steinboden angefühlt hatte.
    Hastig griff er nach dem Zünder und hockte sich vor das Dynamit.

    Buntglas schoss in alle Richtungen aus der Kirche heraus, als in einem Augenblick sämtliche Fenster unten und oben gleichzeitig barsten und die Luft mit farbenfrohen Bruchstücken füllten. Die eben noch solide Rückwand wurde in eine sich auftürmende Staubwolke verwandelt. Scharfe Steinbrocken flogen in hohem Bogen nach oben und krachten dann auf die Erde, fraßen sich durch die Grasnarbe und schlitterten auf die Menge zu. Die kümmerliche Absperrung bot keinen Schutz, mit lautem Scheppern flog sie zur Seite. Links und rechts von Lasar gingen Menschen zu Boden, weil sie von den Beinen gerissen wurden. Auf den Schultern ihrer Väter hielten sich Kinder die Hände vor die von sirrenden Stein- und Glassplittern zerschnittenen Gesichter. Als wäre sie eins, ein Schwarm, stob die Menge davon, duckte sich, einer suchte Schutz hinter dem anderen aus Angst, dass die Trümmer sie zerfetzen würden. Niemand hatte damit gerechnet, dass es schon losging, viele hatten noch nicht einmal hingesehen. Die Filmkameras waren noch nicht bereit. In der Einsturzzone, die man entweder hoffnungslos unterschätzt oder wo man die Wucht der Explosion verkannt hatte, befanden sich noch Arbeiter.
    Mit klingelnden Ohren stand Lasar auf und starrte auf die Staubfahnen, bis sie sich wieder legten. Als die Wolke sich langsam auflöste, enthüllte sie ein Loch in der Wand, das so hoch und breit war wie zwei Männer. Es sah aus, als hätte ein

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