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Kolyma

Kolyma

Titel: Kolyma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Rob Smith
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stehen.
    »Kannst du nicht mitkommen? Wir gehen auch ganz langsam.«
    Raisa musste lächeln.
    »Ich fühle mich noch nicht kräftig genug. Gib mir noch ein oder zwei Tage, dann gehen wir zusammen raus.«
    »Zusammen mit Soja? Können wir dann in den Zoo gehen? Das hat Soja Spaß gemacht. Sie hat zwar so getan, als ob nicht, aber eigentlich hat es ihr Spaß gemacht, das weiß ich genau. Es war aber ihr Geheimnis. Leo soll auch mit. Und Anna und Stepan.«
    »Wir gehen alle zusammen.«
    Glücklich lächelnd schloss Elena die Tür. Es war das erste Lächeln, das Raisa seit Langem an ihr gesehen hatte.

    Als sie allein war, legte Raisa sich in Sojas Bett. Sie war in das Zimmer der Mädchen gezogen, weil Elena nur einschlafen konnte, wenn sie dabei war. Die Sicherheitsvorkehrungen waren nicht nur in ihrem staatlichen Wohnkomplex verstärkt worden, sondern über die ganze Stadt. Aktive und ehemalige Agenten hatten an den Türen zusätzliche Schlösser und vor den Fenstern Gitter angebracht. Der Staat hatte zwar versucht, keine Informationen nach draußen dringen zu lassen, aber die Gerüchteküche kochte, dafür waren es einfach zu viele Morde gewesen. Jeder, der einmal einen Freund oder Kollegen denunziert hatte, sah sich neuerdings ganz besonders vor. Genau wie von Frajera angekündigt, hatten die Profiteure der Angst jetzt selber Angst.

    * * *

    Raisa schlug die Augen auf. Sie wusste nicht, wie lange sie geschlafen hatte. Obwohl sie mit dem Gesicht zur Wand lag und nicht sehen konnte, was hinter ihr vorging, spürte sie doch genau, dass da noch jemand im Zimmer war. Als sie sich auf den Rücken drehte und ihren Kopf hob, gewahrte sie im Türrahmen die Silhouette eines Beamten - allerdings seltsam androgyn. Es kam ihr fast vor wie in einem Traum. Sie war weder ängstlich noch überrascht. Zum ersten Mal trafen sie aufeinander, und doch war da diese seltsame, unmittelbare Vertrautheit zwischen ihnen, so als würden sie sich schon lange kennen.
    Frajera nahm die Mütze ab und entblößte ihren kurz geschnittenen Haarschopf. Sie trat ins Zimmer.
    »Du kannst gern schreien, wenn du willst«, sagte sie, »oder wir reden.«
    Raisa setzte sich auf. »Ich werde nicht schreien.«
    »Habe ich auch nicht erwartet.«
    Diesen herablassenden Ton kannte Raisa zur Genüge. So redete normalerweise ein Mann mit seiner Frau, aber aus dem Munde einer Frau, die nur fünf Jahre älter war als sie selbst, hörte es sich ungewöhnlich an.
    Frajera bemerkte Raisas Verärgerung. »Sei nicht beleidigt. Ich musste doch sichergehen. Es war gar nicht so einfach, hier reinzukommen, um dich zu treffen, ich habe es oft versucht. Es wäre jammerschade, wenn mein Besuch so schnell wieder vorbei wäre.«
    Frajera setzte sich auf das gegenüberliegende Bett, Elenas Bett, lehnte sich an die Wand und überkreuzte die Beine. Dann knöpfte sie sich die Uniformjacke auf.
    »Geht es Soja gut?«, fragte Raisa.
    »Es geht ihr gut.«
    »Sie ist nicht verletzt?«
    »Nein.«
    Raisa hatte keinen Grund, der Frau zu glauben. Aber sie tat es.
    Frajera nahm Elenas Kopfkissen und drückte es langsam zusammen. »Das ist ein nettes Zimmer, voller netter Sachen, die ein nettes Elternpaar seinen netten Töchtern geschenkt hat. Wie viele nette Sachen braucht man als Ausgleich für einen ermordeten Vater und eine ermordete Mutter? Wie weich müssen die Bettlaken sein, damit ein Kind so ein Verbrechen vergisst?«
    »Wir haben nie versucht, uns ihre Liebe zu erkaufen.«
    »Das ist schwer zu glauben, wenn man sich hier so umsieht.«
    Nur mit Mühe konnte Raisa ihre Wut im Zaum halten. »Wären wir eine bessere Familie, wenn wir ihnen nichts gekauft hätten?«
    »Aber ihr seid doch gar keine Familie. Zugegeben, wenn jemand die Wahrheit nicht kennt, könnte er euch für eine Familie halten. Ich frage mich, ob es das war, was Leo im Sinn hatte. Die Illusion der Normalität. Es würde zwar nicht echt sein, das wusste er schon, aber trotzdem konnte er sich an dem erfreuen, was andere Leute in ihm sahen. Leo glaubt gern an Lügen. Die Mädchen sind eigentlich nur Staffage, nett zurechtgemacht in hübschen Kleidern, damit er Papa spielen kann.«
    »Die Mädchen waren in einem Waisenhaus. Wir haben ihnen die Wahl gelassen.«
    »Die Wahl zwischen Krankheit, Armut und Mangelernäh rung oder einem Leben mit dem Mann, der ihre Eltern ermordet hat. Was für eine Wahl...«
    Raisa zögerte, sie konnte nicht widersprechen. »Weder er noch ich haben uns Illusionen darüber gemacht, dass die Adoption

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