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Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)

Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)

Titel: Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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Ermittlungseinheiten des Landes – die Kriminalpolizei und das Kriminalamt, Kripos – zusammengeschweißt hatte. Die Rivalität war beiseitegeschoben worden, und man zog an einem Strang, um endlich den Täter zu finden, der einen ihrer Kollegen ermordet hatte. In den ersten intensiven, hochmotivierten Wochen war Hagen überzeugt gewesen, den Fall schnell lösen zu können. Auch wenn technische Spuren ebenso fehlten wie Zeugen, mögliche Motive, Verdächtige oder auch nur Anhaltspunkte. Einfach weil Wille und Bereitschaft so groß waren und sie über nahezu unbegrenzte Ressourcen verfügten.
    Die Apathie, die ihm jetzt aus den grauen, müden Gesichtern entgegenblickte, war in der letzten Zeit immer deutlicher geworden. Und die gestrige Pressekonferenz – die mit ihrer Bitte um Hilfe jedweder Art einer Kapitulation verdammt nahegekommen war – hatte die Kampfmoral nicht unbedingt erhöht. Neben dem Vennesla-Fall hatten sie auch beim Gusto-Hanssen-Fall den Status von aufgeklärt zu ungelöst ändern müssen, nachdem Oleg Fauke entlassen worden war und Chris »Adidas« Reddy sein Geständnis zurückgezogen hatte. Ein Positives hatte der Vennesla-Fall aber doch: Der Polizistenmord überschattete den Mord an dem Drogenabhängigen Gusto so vollständig, dass die Presse nicht ein Wort darüber verloren hatte, dass auch dieser Mordfall noch immer ungelöst war.
    Hagen blickte auf das Blatt, das vor ihm auf dem Rednerpult lag. Zwei Zeilen. Zwei Zeilen für die Morgenbesprechung.
    Gunnar Hagen räusperte sich. »Guten Morgen. Wie die meisten von Ihnen bereits wissen, sind nach der gestrigen Pressekonferenz eine ganze Reihe von Hinweisen eingegangen, denen wir nun nachgehen müssen. Insgesamt sind es bis jetzt neunundachtzig Tipps. Einige davon sind wirklich interessant.«
    Er brauchte nicht auszusprechen, was alle längst wussten: Nach bald drei Monaten Ermittlungen waren sie zu der frustrierenden Erkenntnis gelangt, dass fünfundneunzig Prozent der Hinweise reiner Bullshit waren. Sie kamen von ihren alten Bekannten, die immer anriefen, von Besoffenen, von Leuten, die den Verdacht auf jemanden lenken wollten, der ihnen die Freundin ausgespannt oder die Treppe nicht geputzt hatte. Ein Scherz oder einfach nur der Versuch, ein wenig Aufmerksamkeit zu erhaschen oder jemanden zu haben, der ihnen zuhörte. Mit »einige davon« meinte er exakt vier Hinweise. Und dass diese wirklich interessant waren, war eigentlich eine Lüge, da man ihnen bereits nachgegangen war. Und auch diese Hinweise hatten nur ins Leere geführt.
    »Wir haben heute hohen Besuch«, sagte Hagen und hörte selbst, dass man das als Sarkasmus deuten konnte. »Der Polizeipräsident möchte ein paar Worte an Sie richten. Mikael …«
    Hagen klappte die Mappe zu und klopfte damit gegen das Rednerpult, als enthielte sie einen ganzen Stapel interessanter Dokumente und nicht bloß diesen einen Zettel. Er hatte Bellman extra beim Vornamen genannt, um seine sarkastische Bemerkung zu überspielen, und nickte dem Mann zu, der weiter hinten neben der Tür stand.
    Der junge Polizeipräsident, der mit verschränkten Armen an der Wand lehnte, wartete einen kurzen Augenblick, bis alle sich umgedreht hatten und ihn sahen. Dann stieß er sich mit einer ebenso kraftvollen wie geschmeidigen Bewegung von der Wand ab und trat mit raschen, entschlossenen Schritten ans Rednerpult. Auf seinen Lippen lag der Anflug eines Lächelns, als dächte er an etwas Amüsantes, und als er entspannt vornübergebeugt die Unterarme aufs Pult legte und sie direkt ansah, um anzudeuten, dass er kein fertig geschriebenes Manuskript hatte, dachte Hagen, dass Bellman nun bitte schön auch servieren sollte, was sein Auftritt versprach.
    »Einige von Ihnen wissen vielleicht, dass ich klettere«, sagte Mikael. »Und wenn ich an Tagen wie heute aufwache und aus dem Fenster sehe, in den Nebel starre und im Radio höre, dass es noch mehr Schnee geben und auch der Wind noch zunehmen soll, denke ich an einen Berg, den ich einmal besteigen wollte.«
    Bellman machte eine Pause, und Hagen stellte fest, dass die ungewohnte Einleitung ihre Wirkung nicht verfehlte. Bellman hatte ihrer aller Aufmerksamkeit. Bis auf weiteres. Hagen wusste aber, dass die Bullshit-Toleranz der überarbeiteten Gruppe minimal war und dass niemand sich Mühe geben würde, das zu verbergen. Bellman war zu jung, war noch nicht lang genug ihr Chef und war die Karriereleiter zu schnell aufgestiegen, um von ihnen viel Geduld erwarten zu

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