Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)
Verbindung gestanden hatten. Verdächtige, Angehörige, Freunde, ja sogar Venneslas Kollegen, die gemeinsam mit ihm an dem Fall gearbeitet hatten. Aber auch da hatte es keine Resultate gegeben.
Es war still geworden im Raum, und Ståle Aune erkannte an dem Gesichtsausdruck seines Patienten, dass dieser gerade eine Frage gestellt haben musste und jetzt auf die Antwort des Psychologen wartete.
»Hm«, sagte Aune, stützte das Kinn auf seine Faust und begegnete dem Blick seines Gegenübers. »Was denken Sie selbst darüber?«
Der Blick des Mannes war verwirrt, und einen Augenblick lang fürchtete Aune, er könnte nach einem Glas Wasser oder irgendetwas Ähnlichem gefragt haben.
»Was ich darüber denke, dass sie lächelt? Oder über das starke Licht?«
»Beides.«
»Manchmal glaube ich, dass sie lächelt, weil sie mich mag. Andere Male glaube ich, dass sie es tut, weil sie will, dass ich irgendetwas mache. Aber wenn sie aufhört zu lächeln, erlischt dieses starke Licht in ihren Augen, und dann ist es zu spät, denn dann sagt sie nichts mehr. Deshalb glaube ich, dass es der Verstärker ist. Oder was meinen Sie?«
»Äh … Verstärker?«
»Ja.« Pause. »Davon habe ich doch erzählt. Der, den Vater immer ausgeschaltet hat, wenn er in mein Zimmer gekommen ist und gesagt hat, dass ich diese Platte jetzt lange genug gespielt habe, dass man von der Musik sonst noch wahnsinnig wird. Ich habe Ihnen doch erzählt, wie das kleine rote Lämpchen neben dem Schalter immer dunkler und dunkler wurde. Und in diesem Moment war ich überzeugt, dass ich sie verloren hatte. Dass sie deshalb am Ende des Traums so stumm ist. Sie ist der Verstärker, der keinen Ton mehr von sich gibt, nachdem Vater ihn ausgestellt hat. Und dann kann ich nicht mehr mit ihr reden.«
»Sie haben Platten gehört und an sie gedacht?«
»Ja. Immer. Bis ich etwa sechzehn war. Und nicht Platten. Die Platte.«
»Immer nur Dark Side of the Moon ?«
»Ja.«
»Aber sie wollte Sie nicht?«
»Das weiß ich nicht. Vermutlich nicht. Damals nicht.«
»Hm. Unsere Zeit ist zu Ende. Ich gebe Ihnen bis zum nächsten Mal etwas zu lesen mit. Und dann möchte ich, dass wir einen Schluss für die Geschichte in Ihrem Traum finden. Sie soll reden. Sie soll Ihnen etwas sagen. Etwas, das Sie von ihr hören möchten. Vielleicht, dass sie Sie mag. Können Sie sich dazu bis zum nächsten Mal ein paar Gedanken machen?«
»Okay.«
Der Patient stand auf, nahm seinen Mantel von der Garderobe und ging zur Tür. Aune setzte sich an den Schreibtisch und warf einen Blick auf den Kalender, der ihm deprimierend voll vom Computerbildschirm entgegenstrahlte. Und ihm wurde bewusst, dass es wieder passiert war: Er hatte den Namen seines Patienten komplett vergessen. Zum Glück stand er im Kalender. Paul Stavnes.
»Nächste Woche, gleiche Zeit, Paul?«
»Ja, klar.«
Ståle notierte sich den Termin. Als er wieder aufsah, war Stavnes bereits gegangen.
Er stand auf und nahm die Zeitung mit ans Fenster. Wo zum Henker blieb eigentlich die so lange versprochene globale Erwärmung? Er sah auf die Zeitungsseite, wollte aber nicht mehr lesen und warf sie weg. Die immer gleichen Schlagzeilen der Zeitungen reichten jetzt langsam. Ermordet. Grobe Gewalt gegen den Kopf des Opfers. Erlend Vennesla hinterlässt Frau, Kinder und Enkelkinder. Freunde und Kollegen geschockt. »Er war so ein netter Mensch, hatte ein so warmes Herz.« »Man musste ihn einfach mögen.« »Freundlich, ehrlich und tolerant, dieser Mann hatte keine Feinde.« Ståle Aune holte tief Luft. There is no dark side of the moon, not really. Matter of fact, it’s all dark. Er blickte auf sein Telefon. Sie hatten seine Nummer. Aber es blieb stumm. Genau wie das Mädchen in dem Traum.
Kapitel 4
D er Leiter der Mordkommission, Gunnar Hagen, fuhr sich mit der Hand über die Stirn, hoch zu der lagunenartigen Öffnung im Haaransatz und weiter über das dichte Haaratoll an seinem Hinterkopf. Vor ihm saß seine Ermittlungsgruppe. Bei einem normalen Mord hätte es sich um etwa zwölf Personen gehandelt. Aber ein Mord an einem Kollegen war nicht normal, so dass das K2 bis zum letzten Platz gefüllt war. Knapp fünfzig Personen, die krankgemeldeten Mitarbeiter mitgerechnet exakt dreiundfünfzig Beamte, arbeiteten an dem Fall. Es würde sicher nicht lange dauern, bis weitere krank wurden – der Druck der Medien war für alle eine große Belastung. Das Positivste, was man über diesen Fall sagen konnte, war, dass er die beiden
Weitere Kostenlose Bücher