Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)
Morgen wieder aufstehen.«
»Von Rache angetriebene Terroristen also«, sagte Bjørn Holm.
»Gut«, sagte Harry. »Notiert, dass wir alle Vergewaltigungsfälle überprüfen müssen, bei denen der Verurteilte kein Geständnis abgelegt hat und die nicht eindeutig waren. Und bei denen der Täter seine Strafe abgesessen hat und wieder auf freiem Fuß ist.«
»Vielleicht ist es ja gar nicht der Verurteilte selbst«, sagte Katrine. »Es kann sein, dass der Verurteilte noch immer einsitzt oder sich aus Verzweiflung das Leben genommen hat. Und dass der Rächer seine Lebensgefährtin ist. Sein Bruder oder Vater.«
»Liebe«, sagte Harry. »Gut.«
»Das meinst du doch nicht im Ernst«, kam es von Bjørn.
»Was?«, fragte Harry.
»Liebe?« Seine Stimme klang metallisch und sein Gesicht war zu einer merkwürdigen Grimasse verzogen. »Du willst doch wohl nicht sagen, dass dieses verdammte Blutbad auch nur irgendetwas mit Liebe zu tun hat?«
»Doch, das will ich«, sagte Harry, setzte sich wieder richtig hin und schloss die Augen.
Bjørn stand mit rotem Gesicht auf. »Ein Psychopath und Serienmörder, der aus Liebe …«, seine Stimme überschlug sich und er nickte in Richtung des leeren Stuhls, »… so etwas tut?«
»Sieh dich selbst an«, sagte Harry und öffnete ein Auge.
»Hä?«
»Guck dich selbst an und fühl in dich rein. Du bist wütend. Du hasst. Du willst den Schuldigen hängen sehen, ihn sterben und leiden sehen, nicht wahr? Weil du die, die da gesessen hat, genauso geliebt hast wie wir. Die Mutter deines Hasses ist damit die Liebe, Bjørn. Und es ist die Liebe, nicht der Hass, die dich freiwillig alles Mögliche tun lässt, dich keine Mühen scheuen lässt, deine Klauen in den Schuldigen zu schlagen. Setz dich.«
Bjørn nahm wieder Platz. Und Harry stand auf.
»Genau das Gefühl habe ich bei diesen Morden. Das Bestreben, die Originalmorde zu rekonstruieren. Das Risiko, das der Mörder dafür einzugehen bereit ist. Die Arbeit, die er vorher geleistet haben muss, lässt mich daran zweifeln, dass er bloß von Blutgier oder Hass angetrieben wird. Bei reiner Blutgier tötet man Prostituierte, Kinder oder andere leichte Opfer. Wer ohne Liebe hasst, wird in seinen Anstrengungen nie so extrem. Ich glaube, wir müssen nach jemandem suchen, dessen Liebe größer ist als sein Hass. Und nach allem, was wir über Valentin Gjertsen wissen, stellt sich dann die Frage, ob er überhaupt dazu in der Lage wäre, jemanden so sehr zu lieben?«
»Vielleicht«, sagte Gunnar Hagen. »Wir wissen ja nicht alles über Valentin Gjertsen.«
»Hm. Wann jährt sich der nächste ungelöste Mordfall?«
»Es gibt eine Lücke«, sagte Katrine. »Im Mai, ein neunzehn Jahre alter Fall.«
»Dann haben wir mehr als einen Monat Zeit«, sagte Harry.
»Ja, und das war auch kein Sexualmord. Es sah eher nach einem Familienstreit aus. Ich habe mir deshalb erlaubt, mir einen Vermisstenfall anzuschauen, hinter dem sich auch ein Mord verstecken könnte. Eine junge Frau, die hier in Oslo verschwunden ist. Sie wurde vermisst gemeldet, nachdem sie über zwei Wochen nicht gesehen worden war. Der Grund dafür, dass niemand früher reagiert hat, war die Tatsache, dass sie einer ganzen Reihe ihrer engsten Kontakte per SMS mitgeteilt hat, dass sie eine Auszeit braucht und sich deshalb jetzt in einen Billigflieger in den Süden setzt. Einige haben auf die SMS reagiert, aber nie eine Antwort erhalten, woraus sie geschlossen haben, dass die Auszeit auch ihr Handy umfasste. Als sie vermisst gemeldet wurde, hat die Polizei alle Flüge kontrolliert, aber sie hatte kein Ticket. Kurz gesagt, sie war spurlos verschwunden.«
»Das Handy?«, fragte Bjørn Holm.
»Das letzte Signal wurde von einer Basisstation in Oslo aufgefangen. Danach war Schluss. Vielleicht war der Akku leer.«
»Hm«, sagte Harry. »Die SMS . Die Tatsache, dass ihr Umfeld die Nachricht erhält, sie brauche eine Auszeit …«
Bjørn und Katrine nickten langsam.
Ståle Aune seufzte. »Und jetzt das Ganze noch mal für Doofe?«
»Er meint, dass das bei Beate ähnlich war«, sagte Katrine. »Die SMS , die ich gekriegt habe, dass sie krank ist.«
»Verdammt, ja«, sagte Hagen.
Harry nickte langsam. »Es ist denkbar, dass er das Anrufprotokoll des Telefons überprüft und den letzten Kontakten eine kurze Nachricht schickt, damit sich erst einmal niemand auf die Suche macht.«
»Was bedeutet, dass es viel schwerer wird, am Tatort noch technische Spuren zu finden«, fügte Bjørn hinzu.
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