Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)
Farbeimer und Plastikrollen, und unter einer Plane ragten Dielenbretter hervor. Er ging über die kleine Steintreppe nach unten und weiter auf die Rückseite des Hauses, wie es ihm von den neuen Besitzern erklärt worden war. Er schloss die Tür der Souterrainwohnung auf und nahm sogleich den Geruch von frischer Farbe und Kleister wahr. Aber auch den anderen Geruch, von dem die neuen Besitzer gesprochen hatten und der der eigentliche Grund der Renovierung war. Der Gestank sei nicht eindeutig lokalisierbar, es rieche aber im ganzen Haus, hatten sie gesagt. Der Kammerjäger hatte nur gemeint, der Gestank könne unmöglich von einem kleinen Nager stammen, und ihnen geraten, Böden und Wände aufzubrechen, um an die Quelle zu gelangen.
Harry schaltete das Licht ein. Der Flurboden war mit durchsichtigem Plastik ausgelegt, auf dem sich die grauen Spuren von Profilsohlen abzeichneten. Daneben standen Holzkisten mit Werkzeugen, Hammer, Brecheisen und mit Farbspritzern bekleckerte Bohrmaschinen. Einige Wandbretter waren entfernt worden, so dass man direkt auf die Isolierung blickte. Neben dem Flur bestand die Kellerwohnung aus einer kleinen Küche, einem Bad und einem Wohnzimmer mit einem angrenzenden Schlafzimmer, das mit einem Vorhang abgetrennt war. Die Renovierung schien das Schlafzimmer noch nicht erreicht zu haben, denn dort türmten sich die Möbel aus den angrenzenden Zimmern. Um sie gegen den Baustaub aus dem Wohnzimmer zu schützen, war der Perlenvorhang zur Seite gezogen und durch einen dicken, matten Plastikvorhang ersetzt worden. Harry musste unwillkürlich an Schlachthöfe denken, an Kühlräume und an abgeschlossene Tatorte.
Er sog den Geruch von Lösungsmitteln und Verwesung ein und konstatierte wie der Kammerjäger, dass das nicht von einem einzelnen kleinen Nager kam.
Das Bett war in die Ecke geschoben worden, um Platz für die Möbel zu schaffen. Der übervolle Raum wirkte so klein, dass man sich kaum vorstellen konnte, wie hier eine Vergewaltigung durchgeführt und gefilmt worden sein sollte. Katrine hatte gesagt, dass sie noch einmal zu Irja gehen wollte, um, wenn möglich, diese Bilder aufzuspüren, aber falls dieser Valentin tatsächlich ihr Polizeischlächter war, war sich Harry einer Sache bereits sicher: Es würde keine Fotos von ihm geben, die als Beweise taugten. Entweder waren diese Fotos zerstört oder nach seinem Umzug an einem anderen Ort versteckt worden.
Harry ließ seinen Blick kreuz und quer durch den Raum schweifen, bis er wieder bei seinem Spiegelbild im Fenster ankam, hinter dem der dunkle Garten lag. Der Raum hatte etwas Klaustrophobisches, aber wenn er wirklich ein Tatort war, sprach er nicht zu ihm. Es lag auch zu lange zurück, in der Zwischenzeit waren hier zu viele andere Dinge passiert, nur die Tapete war noch die gleiche wie damals. Und der Geruch.
Harry sah sich noch einmal um und richtete seinen Blick dann an die Decke. Lange. Klaustrophobisch. Warum hatte man hier diesen Eindruck, nicht aber im Wohnzimmer? Er streckte seine hundertunddreiundneunzig Zentimeter plus seinen Arm zur Decke. Die Fingerkuppen reichten knapp bis oben an die Gipsplatten. Dann ging er wieder zurück ins Wohnzimmer und machte dasselbe. Ohne die Decke zu erreichen.
Die Decke des Schlafzimmers musste mit anderen Worten abgehängt worden sein. So etwas hatte man in den Siebzigern gerne gemacht, um Strom für die Elektroheizung zu sparen. Und in dem Zwischenraum zwischen der alten und der neuen Decke gab es Platz. Reichlich Platz, um etwas zu verstecken.
Harry ging zurück in den Flur, nahm ein Brecheisen aus einer der Holzkisten und ging zurück ins Schlafzimmer. Als sein Blick auf das Fenster fiel, erstarrte er. Er wusste, dass Augen instinktiv auf Bewegungen reagierten. Er blieb zwei Sekunden stehen und lauschte. Nichts.
Dann konzentrierte er sich wieder auf die Decke. Es gab keine Spuren, aber Gipsplatten konnte man leicht aufschneiden und anschließend wieder verschließen. Verputzte und strich man die Decke danach neu, war nichts mehr zu sehen. Wenn man effektiv arbeitete, bräuchte man dafür kaum einen halben Tag, dachte er.
Harry stieg auf einen Sessel, stellte sich mit den Füßen auf die Armlehnen und schlug mit der Spitze des Brecheisens gegen die Decke. Und dachte daran, was Hagen gesagt hatte. Wenn ein Ermittler ohne Autorisierung und Durchsuchungsbefehl und ohne Erlaubnis des Hausbesitzers eine Decke einriss, würde das Gericht die dadurch erbrachten Beweise sicher nicht
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