Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)
»Der hat’s echt drauf.«
»An welchem Datum wurden die SMS des Mädchens verschickt?«
»Am sechsundzwanzigsten März«, sagte Katrine.
»Das ist heute«, sagte Bjørn.
»Hm.« Harry rieb sich das Kinn. »Wir haben einen möglichen Sexualmord und ein Datum, aber keinen Tatort. Welche Ermittler waren damals involviert?«
»Es wurde keine Ermittlungsgruppe eingerichtet, weil das ja als Vermisstensache geführt und nie als Mord behandelt wurde.« Katrine warf einen Blick in ihre Notizen. »Irgendwann wurde es dann aber doch an das Dezernat für Gewaltverbrechen übergeben und einem der Kommissare zugeteilt. Dir.«
»Mir?« Harry zog die Stirn in Falten. »Normalerweise erinnere ich mich an meine Fälle.«
»Den hast du direkt nach dem Schneemann gekriegt. Du hattest dich nach Hongkong abgesetzt und bist nie wieder aufgetaucht. Du warst damals sogar selbst auf der Vermisstenliste.«
Harry zuckte mit den Schultern. »Okay. Bjørn, check mal bei der Vermisstenstelle ab, was die dazu haben. Und warne sie vor, falls sich jemand bei ihnen melden sollte oder irgendein geheimnisvoller Anruf eingeht. Okay? Ohne Leiche oder Tatort sollten wir vermutlich weitermachen.« Harry klatschte in die Hände. »Also, wer macht hier unten Kaffee?«
»Hm«, sagte Katrine mit aufgesetzt dunkler, heiserer Stimme, ließ sich tief in ihren Stuhl sinken, streckte die Beine aus, schloss die Augen und rieb sich das Kinn. »Das muss dieser neue Berater sein.«
Harry presste die Lippen zusammen, nickte und sprang auf, und zum ersten Mal seit Beates Tod hörten sie Lachen im Heizungsraum.
Der Ernst der Lage lastete schwer auf den Gemütern im Sitzungsraum des Rathauses.
Mikael Bellman saß am einen Ende des Tischs, der Leiter des Senats am anderen. Mikael kannte die Namen der meisten Anwesenden, es war eine seiner ersten Amtshandlungen als Polizeipräsident gewesen, sich die Namen und Gesichter einzuprägen. »Man kann nicht Schach spielen, ohne die Figuren zu kennen«, hatte sein Vorgänger ihm gesagt. »Sie müssen wissen, wer zu was in der Lage ist und wer nicht.«
Es war ein wohlmeinender Rat des routinierten Polizeipräsidenten gewesen. Aber warum saß dieser Mann jetzt auch hier in dieser Runde? Hatte man ihn als Berater hinzugezogen? Welche Erfahrung er auch im Schachspiel haben mochte, sicher hatte er noch nie mit Figuren wie der großen Blonden gespielt, die zwei Plätze neben dem Senatsleiter saß und jetzt das Wort führte. Die Königin. Die Innen- und Sozialsenatorin. Isabelle Skøyen. The leavee . Ihre Stimme hatte den kalten, bürokratischen Klang eines Menschen, der wusste, dass Protokoll geführt wurde.
»Wir beobachten mit wachsender Besorgnis, dass man im Polizeidistrikt Oslo scheinbar nicht dazu in der Lage ist, die Mordserie an den eigenen Kollegen in den Griff zu bekommen. Die Medien setzen uns schon seit geraumer Zeit unter Druck und fordern drastische Maßnahmen, wichtiger ist aber, dass nun auch die Bevölkerung die Geduld verliert. Der Verlust des Vertrauens in unsere Institutionen, in diesem Fall Senat und Polizei, ist inakzeptabel. Und da das meinem Verantwortungsgebiet untersteht, habe ich diese informelle Zusammenkunft einberufen, damit der Senat Stellung nehmen kann zu dem Konzept des Polizeipräsidenten, wie diese Misere zu lösen ist. Ich gehe doch davon aus, dass es ein solches Konzept gibt?«
Mikael Bellman schwitzte. Er hasste es, in der Uniform zu schwitzen. Vergeblich hatte er versucht, den Blick seines Vorgängers einzufangen. Was zum Teufel hatte er hier verloren?
»Und natürlich geht es auch um mögliche Alternativen. In diesem Punkt sollten wir so offen und kreativ wie nur möglich sein«, fuhr Isabelle Skøyen fort. »Wir haben natürlich Verständnis dafür, dass die aktuelle Situation, die eigentlich Erfahrung und Routine erfordert, für einen jungen, unerfahrenen Polizeipräsidenten eine ungeheure Herausforderung darstellen muss. Es wäre sicher besser gewesen, wenn die Fälle noch auf dem Tisch des alten Polizeipräsidenten gelandet wären, in diesem Punkt stimmen sicher alle mit mir überein, die beiden Polizeipräsidenten eingeschlossen.«
Mikael Bellman traute seinen Ohren nicht. Wollte sie … War sie wirklich im Begriff …?
»Oder was sagen Sie dazu, Bellman?«
Mikael Bellman räusperte sich.
»Erlauben Sie mir noch ein Wort, Bellman«, sagte Isabelle Skøyen, schob ihre Prada-Lesebrille auf die Nasenspitze und sah mit zusammengekniffenen Augen auf das Blatt, das vor ihr
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