Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)
klappen.«
»Ich dachte, ein Leiter sollte seine Leute im Glauben wiegen, dass alles im Bereich des Möglichen liegt«, sagte Bjørn Holm.
»Leiter?« Harry richtete sich lächelnd auf. »Hast du sie über meinen Status aufgeklärt, Hagen?«
Gunnar Hagen räusperte sich. »Harry hat weder den Status noch die Autorisierung eines Polizisten, er ist wie Ståle ein Berater und damit nicht befugt, Waffen zu tragen und Festnahmen durchzuführen. Und das heißt auch, dass er keine operative Einheit leiten kann. Wir müssen uns unbedingt daran halten. Stellt euch vor, wir schnappen Valentin, die Taschen voller Beweise, und sein Anwalt deckt später auf, dass wir nicht nach Regelbuch vorgegangen sind …«
»Solche Berater …«, sagte Ståle Aune, während er Grimassen schneidend seine Pfeife stopfte. »Ich habe gehört, dass deren Honorar sogar Psychologen erblassen lässt. Also lasst uns die Zeit auch nutzen. Sag was Kluges, Harry.«
Harry zuckte mit den Schultern.
»Tja«, sagte Ståle Aune mit säuerlichem Lächeln und steckte sich die nicht angezündete Pfeife in den Mund. »Wir haben nämlich schon alles Kluge gesagt, das uns einfällt. Und das bereits vor einer ganzen Weile.«
Harry blickte einen Moment lang auf seine Hände. Dann holte er tief Luft.
»Ich weiß nicht, ob das klug ist, vielleicht ist es auch bloß ungares Zeug, aber ich habe mir Folgendes gedacht …« Er hob den Blick und begegnete vier weit geöffneten Augenpaaren.
»Klar ist Valentin Gjertsen ein Verdächtiger. Das Problem ist nur, dass wir ihn nicht finden können. Deshalb schlage ich vor, dass wir uns einen neuen Verdächtigen suchen.«
Katrine Bratt traute ihren Ohren nicht. »Was? Wir sollen jemanden verdächtigen, von dem wir nicht glauben , dass er schuldig ist?«
»Wir glauben nicht«, sagte Harry. »Wir verdächtigen mit unterschiedlicher Wahrscheinlichkeit. Und wägen die Wahrscheinlichkeit gegen den Aufwand ab, den Verdacht zu bestätigen oder zu entkräften. Wir halten es für weniger wahrscheinlich, dass es Leben auf dem Mond gibt als auf Gliese 581 d, der im perfekten Abstand zur Sonne liegt, so dass auf ihm das Wasser weder kocht noch friert. Trotzdem erforschen wir als Erstes den Mond.«
»Harry Holes viertes Gebot«, sagte Bjørn Holm. » Fangt da zu suchen an, wo es Licht gibt . Oder ist es das fünfte?«
Hagen räusperte sich. »Unser Mandat ist es, Valentin Gjertsen zu finden, alles andere unterliegt der großen Ermittlungsgruppe. Bellman würde nichts anderes zulassen.«
»In allen Ehren«, sagte Harry. »Aber zur Hölle mit Bellman. Ich bin nicht klüger als ihr, aber ich bin neu, und das gibt uns die Chance, den ganzen Fall noch einmal mit neuen Augen zu betrachten.«
Katrine schnaubte. »Als würdest du das wirklich so meinen! Nicht klüger als wir …«
»Egal, lass uns trotzdem erst mal so tun«, sagte Harry, ohne eine Miene zu verziehen. »Fangen wir ganz am Anfang an. Motiv. Wer würde einen Polizisten töten, der einen Fall nicht aufgeklärt hat? Denn das ist doch wohl die grundlegende Gemeinsamkeit, oder? Lasst hören.«
Harry verschränkte die Arme vor der Brust, rutschte wieder auf seinem Stuhl nach unten und schloss abwartend die Augen.
Bjørn Holm war der Erste, der die Stille brach. »Die Angehörigen der Opfer.«
Katrine fuhr fort. »Vergewaltigungsopfer, denen die Polizei nicht geglaubt hat oder deren Fälle nicht gut genug ermittelt wurden. Der Mörder bestraft Polizisten, die andere Sexualmorde nicht aufgeklärt haben.«
»René Kalsnes wurde nicht vergewaltigt«, sagte Hagen. »Und wenn ich der Meinung wäre, dass mein Fall nicht gut genug recherchiert wurde, würde ich mich darauf beschränken, die Polizisten umzubringen, die in meinem Fall involviert waren, und nicht auch noch andere.«
»Macht weiter Vorschläge, abschießen können wir die noch immer«, sagte Harry. »Ståle?«
»Unschuldig Verurteilte«, sagte Aune. »Sie haben gebüßt, sind abgestempelt worden, haben ihre Position verloren, ihr Selbstwertgefühl und den Respekt ihrer Mitmenschen. Die aus dem Rudel ausgestoßenen Löwen sind immer die gefährlichsten. Sie empfinden keine Verantwortung, nur Hass und Verbitterung. Und sie sind bereit, ein hohes Risiko einzugehen, um ihre Rache zu bekommen, da ihre Leben ohnehin schon entwertet sind. Als Rudeltiere haben sie nicht das Gefühl, überhaupt noch etwas verlieren zu können. Den anderen die Qualen zuzufügen, unter denen sie selbst gelitten haben, lässt sie jeden
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