Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)
laufen. Gemeinsam mit mir.«
»Nehmen Sie stattdessen mich«, sagte Harry.
»Warum sollte ich das tun?«
»Ich bin die bessere Geisel. Bei ihm riskieren Sie Panikattacken, wenn er nicht sogar ohnmächtig wird. Und Sie brauchen sich keine Gedanken zu machen, auf welche Ideen ich sonst kommen könnte.«
Schweigen. Vom Fenster war noch immer kein Laut zu hören. Ganz entfernt eine Sirene, vielleicht aber auch nicht. Ståle spürte den Druck der Klinge nachlassen. Dann – als er gerade wieder atmen wollte – spürte er einen Stich und hörte ein schnalzendes Geräusch. Etwas fiel zu Boden. Seine Fliege.
»Wenn Sie auch nur einen Schritt machen …«, fauchte die Stimme ihm ins Ohr, ehe sie sich an Harry wandte.
»Wie du willst, Bulle, aber zuerst lässt du die Stange los. Dann stellst du dich mit dem Gesicht zur Wand und machst die Beine breit.«
»Ich kenne das«, sagte Harry, ließ die Stange fallen, drehte sich um, legte die Handflächen hoch an die Wand und breitete die Beine aus.
Ståle spürte, dass Valentin seinen Arm losließ. Im nächsten Augenblick stand er hinter Harry, zog seinen Arm hinter den Rücken und legte ihm das Messer an den Hals.
»Dann gehen wir, handsome «, sagte Valentin und verschwand mit Harry durch die Tür.
Und Ståle holte endlich Luft.
Harry sah das erschrockene Gesicht der Praxishelferin am Empfang, als er und Valentin wie ein verwachsener, zweiköpfiger Troll aus dem Zimmer kamen und wortlos an ihr vorbeigingen. Auf der Treppe versuchte Harry, langsamer zu gehen, spürte aber sogleich einen stechenden Schmerz am unteren Rücken.
»Dieses Messer drückt sich weiter bis in deine Nieren, wenn du mich aufzuhalten versuchst.«
Harry ging schneller. Er spürte das Blut noch nicht, da es die gleiche Temperatur wie die Haut hatte, wusste aber, dass es in sein Hemd sickerte.
Dann waren sie unten. Valentin trat die Tür auf und schob Harry vor sich nach draußen, ohne dass das Messer aber den Kontakt verlor.
Sie standen auf der Sporveisgata. Harry hörte die Sirenen. Ein Mann mit Sonnenbrille und Hund kam auf sie zu und ging an ihnen vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Sein weißer Stock klang auf dem Bürgersteig wie Kastagnetten.
»Stell dich da hin«, sagte Valentin und zeigte auf ein Parkverbotsschild, an dem ein Mountainbike festgekettet war.
Harry stellte sich an den Pfosten. Sein Hemd klebte an der Haut, und der Schmerz pochte in einem ganz eigenen Puls. Das Messer drückte noch immer in seinen Rücken. Dann hörte er die Schlüssel, das Fahrradschloss wurde geöffnet. Die Sirenen kamen näher. Das Messer verschwand, aber bevor Harry reagieren und wegspringen konnte, wurde sein Kopf von etwas, das um seinen Hals gelegt worden war, nach hinten gezogen. Ihm wurde schwarz vor Augen, als sein Hinterkopf gegen den Schildpfosten knallte, und er rang nach Atem. Wieder war das Klirren von Schlüsseln zu hören. Dann ließ der Zug an seinem Hals nach, und Harry hob automatisch die Hand und schob zwei Finger zwischen seinen Hals und das Ding, das ihn festhielt, ertastete, was es war. Scheiße!
Valentin schwang sich auf sein Fahrrad, setzte Helm und Brille auf, legte zwei Finger an die Stirn und fuhr los.
Harry sah den schwarzen Rucksack auf seinem Rücken verschwinden. Die Sirenen waren nur noch ein paar Straßen entfernt. Ein Fahrradfahrer fuhr an ihm vorbei. Helm, schwarzer Rucksack. Dann noch einer. Kein Helm, aber ein schwarzer Rucksack. Und dann noch einer. Verdammt, verdammt! Die Sirene war so laut, als käme sie aus seinem Kopf. Harry schloss die Augen und dachte an das alte Logik-Paradoxon über Dinge, die sich nähern. Erst einen Kilometer entfernt, dann einen halben, einen drittel, einen viertel, einen hundertstel … Wenn es stimmte, dass die Zahlenreihe unendlich war, würden sie niemals ankommen.
Kapitel 32
» D er hat dich mit einem simplen Fahrradschloss um den Hals an ein Schild gekettet? Und du hast einfach so dagestanden?«, fragte Bjørn Holm ungläubig.
»Ja, an den Pfosten eines verdammten Parkverbotsschildes«, sagte Harry und starrte in die leere Kaffeetasse.
»Was für eine Ironie«, sagte Katrine.
»Die mussten extra einen Streifenwagen mit einem dicken Bolzenschneider kommen lassen, um mich loszumachen.«
Die Tür des Heizungsraums ging auf, und Gunnar Hagen kam hereingestürmt. »Ich habe es gerade erfahren. Was ist passiert?«
»Alle Streifenwagen in der Gegend sind alarmiert worden und halten nach ihm Ausschau«, sagte Katrine.
Weitere Kostenlose Bücher