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Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)

Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)

Titel: Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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ihr. Vielleicht willst du dir mal eine ausleihen?«
    »Die Songs, die ich nicht habe, höre ich über Spotify«, sagte Aurora und stellte fest, dass der Mann eigentlich ganz normal aussah. Von Jesus hatte er jedenfalls nichts.
    »Oh ja, Spotify«, sagte der Mann und ging vor Aurora in die Hocke, so dass er kleiner als sie war. Das fühlte sich besser an. »Da kannst du ja all die Musik hören, die du willst.«
    »Fast«, sagte Aurora. »Ich habe bloß die Gratis-Version, da gibt es immer Werbung zwischen den Liedern.«
    »Und das gefällt dir nicht?«
    »Es nervt, wenn die reden, das macht die Stimmung kaputt.«
    »Weißt du, dass es Platten gibt, auf denen geredet wird und bei denen das Sprechen das Beste am ganzen Song ist?«
    »Nein«, sagte Aurora und legte den Kopf auf die Seite.
    Sie fragte sich, warum der Mann mit so sanfter Stimme sprach, das hörte sich nicht wie seine normale Stimme an. Er klang genau wie Emilie, Auroras Freundin, wenn sie etwas von ihr wollte. Irgendwelche Lieblingsklamotten oder etwas anderes, das Aurora ihr nicht geben wollte, weil das immer so ein Chaos gab.
    »Du solltest dir mal eine Platte von Pink Floyd anhören.«
    »Wer ist das?«
    Der Mann sah sich um. »Wir können nach drinnen gehen und uns an den PC setzen, dann zeige ich es dir, während wir auf deinen Vater warten.«
    »Sie können es mir buchstabieren. Ich kann mir das merken.«
    »Es ist besser, wenn ich es dir zeige. Vielleicht kann ich dann auch ein Glas Wasser bekommen?«
    Aurora sah ihn an. Jetzt, wo er vor ihr hockte, schien die Sonne ihr wieder ins Gesicht, aber plötzlich wärmte sie nicht mehr. Seltsam. Sie lehnte sich auf der Schaukel zurück. Der Mann lächelte, und sie sah etwas zwischen seinen Zähnen glitzern. Wie eine Zungenspitze, die kurz da war und dann wieder verschwand.
    »Komm schon«, sagte er und stand auf. Ergriff eines der Schaukelseile in Kopfhöhe.
    Aurora rutschte von der Schaukel, schlüpfte unter seinem Arm hindurch und begann in Richtung Haus zu gehen. Sie hörte seine Schritte hinter sich. Die Stimme.
    »Es wird dir gefallen, Aurora, das verspreche ich dir.«
    Sanft wie ein Konfirmationspastor. Das sagte Papa immer. Vielleicht war er ja doch Jesus? Aber Jesus hin oder her, sie wollte nicht, dass er mit ins Haus kam. Trotzdem ging sie weiter. Denn wie sollte sie Papa erklären, dass sie jemandem, der ihn kannte, verwehrt hatte, ins Haus zu gehen und ein Glas Wasser zu trinken? Das ging doch nicht. Sie wurde langsamer, um sich Zeit zum Nachdenken zu verschaffen. Suchte nach irgendeinem Grund, weshalb er nicht mit ins Haus konnte. Irgendeine Ausrede. Aber ihr kam nichts in den Sinn. Und weil sie langsamer wurde, kam er näher. Sie hörte seinen Atem. Schwer, als strengten ihn die paar Meter von der Schaukel bis zum Haus richtig an. Und aus seinem Mund kam ein so seltsamer Geruch, der sie irgendwie an Nagellackentferner erinnerte.
    Noch fünf Schritte bis zur Treppe. Eine Ausrede. Zwei Schritte. Treppe. Komm schon. Nichts. Sie waren an der Tür.
    Aurora schluckte. »Ich glaube, die ist abgeschlossen«, sagte sie. »Wir müssen draußen warten.«
    »Ach?«, sagte der Mann und sah sich oben auf der Treppe stehend um, als suchte er Papa irgendwo hinter den Hecken. Oder einen Nachbarn. Sie spürte die Wärme seines Arms, als er ihn über ihre Schulter streckte, die Hand auf die Klinke legte und sie nach unten drückte. Die Tür war offen.
    »Uih«, sagte er. Sein Atem ging noch schneller und in seiner Stimme war plötzlich so ein leichtes Zittern. »Da haben wir aber Glück gehabt.«
    Aurora drehte sich zur Tür um. Starrte in den halbdunklen Flur. Nur ein Glas Wasser. Und die Musik, die sie nicht interessierte. In der Ferne war ein Rasenmäher zu hören. Energisch, aggressiv, hartnäckig. Sie trat über die Türschwelle.
    »Ich muss …«, begann sie, blieb stehen und spürte einen Schlag seiner Hand gegen ihre Schulter, als wäre er in sie hineingelaufen. Spürte die Wärme seiner Haut an ihrem Hals und wie ihr Herz wild zu schlagen begann. Dann hörte sie wieder einen Motor. Aber dieses Mal war es kein Rasenmäher, sondern das hektische Brummen eines kleinen Automotors.
    »Mama!«, rief Aurora, wand sich aus dem Griff des Mannes, tauchte unter seinem Arm hindurch, sprang alle vier Stufen der Treppe auf einmal nach unten und rannte los.
    »Ich muss Mama auspacken helfen«, rief sie über die Schulter zurück.
    Sie stürmte zum Gartentor, lauschte auf Schritte hinter sich, aber das Knirschen ihrer

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