Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)
trotzdem nicht, dass es hier genauso sein könnte?«
»Achtundneunzig …«
»… Komma sechs Prozent. Ist es nicht ein bisschen einseitig, so zu denken?«
»Es waren deine Prozentangaben bei den Todesursachen der Kronzeugen, durch die ich herausgefunden habe, dass Asajev keines natürlichen Todes gestorben ist.«
»Aber in der Angelegenheit hast du auch noch nichts unternommen, oder?«
»Nein. Aber lass das jetzt mal beiseite, Arnold, es gibt Wichtigeres.« Harry lehnte den Kopf an die Wand hinter sich und schloss die Augen. »Wir ticken ziemlich gleich, du und ich, und ich bin ziemlich fertig. Deshalb bin ich hier. Ich wollte dich bitten, mir beim Denken zu helfen.«
»Ich?«
»Ja, wir sind echt am Anschlag, Arnold. Und du hast ein paar Windungen im Hirn, die ich ganz offensichtlich nicht habe.«
Folkestad zog sich die Jacke wieder aus und hängte sie ordentlich über den Stuhlrücken, bevor er sich setzte.
»Harry?«
»Ja?«
»Du hast ja keine Ahnung, wie gut sich das anfühlt.«
Harry lächelte schief. »Gut. Motiv?«
»Motiv, ja, da hapert’s schon.«
»An dem Punkt sind wir auch. Was für ein Motiv könnte der Täter haben?«
»Ich guck mal, ob ich nicht doch noch einen Kaffee finde, Harry.«
Harry redete, während er den ersten und auch einen Großteil des zweiten Kaffees trank, ehe Arnold das Wort ergriff.
»Ich glaube, dass der Mord an René Kalsnes wichtig ist, weil er die Ausnahme darstellt. Er fügt sich einfach nicht ins Bild. Jedenfalls nicht richtig. Er passt nicht zu den anderen Originalmorden mit sexuellem Missbrauch, Sadismus und der Verwendung von Stichwaffen. Wohl aber zu den Polizistenmorden mit stumpfer Gewalt gegen Gesicht und Kopf der Opfer.«
»Sprich weiter«, sagte Harry und stellte die Kaffeetasse ab.
»Ich erinnere mich gut an den Kalsnes-Mord«, sagte Arnold. »Ich war in San Francisco auf einem Polizeikurs, als das passierte. In dem Hotel, in dem ich wohnte, kriegten alle The Gayzette an die Tür geliefert.«
»Die Schwulenzeitung?«
»Ja. Der Mord im kleinen Norwegen hatte es auf die Titelseite geschafft und wurde als Hassmord an einem Schwulen eingestuft. Interessant war die Tatsache, dass keine norwegische Zeitung, die ich im Laufe dieses Tages gelesen habe, irgendwo von Schwulenmord sprach. Der Journalist der Gayzette schrieb, dass die Tat alle klassischen Züge eines Schwulenmordes aufweise. Ein Schwuler, der seine Neigungen auf provokante Weise der ganzen Welt offenbart, wird aufgelesen und an einem abgelegenen Ort Opfer ritueller, roher Gewalt. Der Mörder hat eine Schusswaffe dabei, aber es reicht ihm nicht, Kalsnes zu erschießen, erst muss er sein Gesicht zerschmettern, seine Homophobie ausleben, indem er das feine, viel zu schöne, feminine Schwulengesicht ein für alle Mal entstellt. Alles geschieht überlegt, geplant. Der klassische Schwulenmord eben, so die Schlussfolgerung des Journalisten. Und weißt du was, Harry? Ich finde diese Schlussfolgerung gar nicht so abwegig.«
»Hm. Wenn das ein Schwulenmord war, wie du es nennst, passt er auf keinen Fall ins Bild. Es deutet nichts darauf hin, dass eins der anderen Opfer homosexuell war, weder bei den Originalmorden noch bei den Polizistenmorden.«
»Mag sein, aber es gibt noch ein anderes interessantes Detail. Du hast gesagt, dass der einzige Mord, bei dem alle ermordeten Polizisten irgendwie an den Ermittlungen beteiligt waren, der Mord an Kalsnes war, nicht wahr?«
»Bei einem so kleinen Dezernat sind oft dieselben Leute involviert, Arnold, das ist nicht ungewöhnlich.«
»Egal, ich habe das Gefühl, dass es wichtig ist.«
»Jetzt versteig dich nicht, Arnold.«
Der Rotbart machte ein beleidigtes Gesicht: »Habe ich etwas Falsches gesagt?«
» Ich habe das Gefühl ? Ich werde es dich wissen lassen, wenn deine Gefühle gefragt sind.«
»Seid ihr so wenige?«
»Ja, sprich weiter, aber auf dem Boden bleiben, okay?«
»Wie du willst. Aber vielleicht darf ich noch sagen, dass ich das Gefühl habe, dass du so ziemlich meiner Meinung bist.«
»Vielleicht.«
»Dann gehe ich noch einen Schritt weiter und rate euch, alle verfügbaren Ressourcen einzusetzen, um herauszufinden, wer diesen Schwulen umgebracht hat. Schlimmstenfalls löst ihr dann nur einen Fall. Bestenfalls die ganze Serie der Polizistenmorde.«
»Hm.« Harry leerte seine Tasse und stand auf. »Danke, Arnold.«
»Nichts zu danken. Expolizisten wie ich sind schon froh, wenn man ihnen mal zuhört, weißt du. Apropos Ex, gestern in der
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