Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)
auf mir sitzt, und ich will nirgendwo hin.«
»Das ist es ja gerade. Wir müssen nirgendwo hin. Wir haben alle Zeit der Welt, okay?«
»Okay.«
»Gut.«
»Sicher? Denn wenn du es lieber hast, wenn ich dich ein bisschen mehr herumkommandiere, dann tue ich das gerne.«
Ihr Lachen. Einfach nur ihr Lachen.
»Und Oleg?«
Sie erzählte, und er lächelte ein paarmal und lachte mindestens einmal.
»Jetzt muss ich auflegen«, sagte Harry, als er vor der Tür des Restaurants Schrøder stand.
»Okay. Was ist das eigentlich für ein Treffen?«
»Rakel …«
»Ja, ja, ich weiß ja, dass ich nicht fragen soll, es ist einfach so langweilig hier. Du?«
»Ja?«
»Liebst du mich?«
»Ich liebe dich.«
»Ich höre den Verkehr im Hintergrund, das heißt also, dass du irgendwo in aller Öffentlichkeit stehst und laut sagst, dass du mich liebst?«
»Genau.«
»Drehen die Leute sich um?«
»Ich habe nicht darauf geachtet.«
»Ist es kindisch, wenn ich dich bitte, es noch einmal zu tun?«
»Ja.«
Erneutes Lachen. Er würde alles tun, nur für dieses Lachen. »Also?«
»Ich liebe dich, Rakel Fauke.«
»Und ich liebe dich, Harry Hole. Ich rufe morgen wieder an.«
»Grüß Oleg von mir.«
Sie legten auf, und Harry öffnete die Tür und trat ein.
Silje Gravseng saß allein an dem Tisch hinten am Fenster, Harrys altem Stammtisch.
Der rote Rock und die ebenso rote Bluse hoben sich wie frisches Blut von der alten gemalten Großstadtszene ab, die hinter ihr an der Wand hing. Nur ihr Mund war noch roter.
Harry nahm ihr gegenüber Platz.
»Hallo«, sagte er.
»Hallo«, sagte sie.
Kapitel 38
» D anke, dass Sie so kurzfristig kommen konnten«, sagte Harry.
»Ich bin schon seit einer halben Stunde hier«, sagte Silje und warf einen Blick auf das leere Glas, das vor ihr stand.
»Bin ich …?«, begann Harry und sah auf die Uhr.
»Nein, nein, ich konnte es einfach nicht abwarten.«
»Harry?«
Er sah auf. »Nein, Nina, heute nicht.«
Die Bedienung verschwand.
»Eilig?«, fragte Silje. Sie saß aufrecht da und hatte ihre nackten Arme unter den rotgekleideten Brüsten verschränkt. Sie rahmte sie mit nackter Haut und einem Gesicht ein, das beständig zwischen puppenhafter Schönheit und etwas anderem wechselte, das fast hässlich wirkte. Das einzig Konstante war die Intensität ihres Blickes. Harry hatte das Gefühl, in diesem Blick jede noch so kleine Gemütsschwankung zu erkennen, und fragte sich, wie blind er eigentlich gewesen war, wenn er jetzt nichts außer dieser Intensität sah. Und vielleicht der Lust auf etwas, das er nicht einordnen konnte. Es ging nicht nur um das, was sie haben wollte, eine Nacht, eine Stunde, zehn Minuten gespielte Vergewaltigung. So einfach war es nicht, es ging um mehr.
»Ich wollte mit Ihnen reden, weil Sie im Reichshospital Wache hatten.«
»Ich habe schon mit der Ermittlungsgruppe darüber gesprochen.«
»Worüber?«
»Ob Anton Mittet mir vor seiner Ermordung etwas erzählt hat. Ob er Streit mit jemandem hatte oder was mit jemandem im Krankenhaus am Laufen hatte. Ich habe ihnen gesagt, dass das keine Einzeltat irgendeines eifersüchtigen Ehemannes war, sondern ein Mord des Polizeischlächters. Es passte doch alles zusammen, oder? Ich habe viel über Serientäter gelesen, das hättest du in der Vorlesung gemerkt, wenn wir an diesem Punkt angelangt wären.«
»Es gibt keine Vorlesungen über Serientäter, Silje. Was ich wissen will, ist, ob Sie, während Sie da waren, irgendjemanden kommen oder gehen gesehen haben, der nicht ins Bild passte, nicht dorthin gehörte, ob Ihnen irgendetwas seltsam vorgekommen ist, jemand der vielleicht …«
»… nicht hätte da sein sollen?« Sie lächelte. Weiße, junge Zähne. Zwei davon etwas schief. »Das ist aus deiner Vorlesung.« Ihr Rücken beschrieb einen überdeutlichen Bogen.
»Und?«, fragte Harry.
»Du glaubst, dass der Patient umgebracht worden ist und dass Mittet daran beteiligt war?« Sie hatte den Kopf schräg gelegt und drückte die verschränkten Arme etwas nach oben. Harry fragte sich, ob sie so selbstbewusst war oder nur so tat. Andererseits konnte das auch ein Zeichen für eine mentale Störung sein: Sie versuchte, normales Verhalten zu imitieren, lag aber immer etwas daneben.
»So ist es, oder?«, sagte sie. »Und du glaubst, dass Mittet anschließend umgebracht wurde, weil er zu viel wusste. Und dass der Mörder das bloß als Polizistenmord getarnt hat?«
»Nein«, sagte Harry. »Wenn er von solchen Leuten umgebracht
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