Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)
überprüfst du, welche Nummern Truls Berntsen heute Abend angerufen hat, okay? In der Zwischenzeit hole ich mir bei Bellman grünes Licht für einen Delta-Einsatz. In Ordnung?«
»Ja, ähm … wir … also, verstehst du …«
»Ist das wichtig, Bjørn?«
»Nein.«
»Okay.«
Harry beendete das Gespräch, als Karsten Kaspersen zur Tür hereinkam.
»Ich habe etwas Jod und Mullbinden gefunden. Und auch eine Pinzette, damit wir die Splitter herausziehen können.«
»Danke, Kaspersen. Aber die Splitter halten mich wenigstens ein bisschen zusammen. Leg die Sachen einfach auf den Tisch.«
»Aber du musst doch …«
Er wedelte einen protestierenden Kaspersen aus dem Raum, während er Bellmans Handynummer wählte. Nach sechsmaligem Klingeln landete er beim Anrufbeantworter. Fluchte. Dann suchte er Ulla Bellmans Festnetznummer in Høyenhall heraus. Gleich darauf hörte er eine weiche, melodische Stimme den Familiennamen sagen.
»Hier ist Harry Hole, ist Ihr Mann zu Hause?«
»Nein, er ist gerade weg.«
»Es ist ziemlich wichtig, wo ist er?«
»Das hat er nicht gesagt.«
»Wann …?«
»Das hat er auch nicht gesagt.«
»Wenn …«
»… er auftaucht, bitte ich ihn, Sie zurückzurufen, Harry Hole.«
»Danke.«
Er legte auf.
Zwang sich zu warten. Er saß vornübergebeugt da, hatte die Ellenbogen auf den Tisch gestemmt und lauschte dem Blut, das auf die nicht korrigierten Tests tropfte. Er zählte die Tropfen wie Sekunden, die langsam wegtickten.
Wald. Wald. Im Wald fährt keine U-Bahn.
Und die Akustik, es hatte sich angehört, als wäre er draußen gewesen, nicht drinnen.
Dabei hatte Arnold Folkestad behauptet, zu Hause zu sein.
Trotzdem hatte Harry im Hintergrund die U-Bahn gehört.
Es konnte natürlich einen harmlosen Grund dafür geben, dass Arnold Folkestad ihn an jenem Abend belogen hatte. Eine Frauengeschichte, die er für sich behalten wollte. Zum Beispiel. Und natürlich konnte es ein Zufall sein, dass zum Zeitpunkt von Harrys Anruf gerade das Mädchen auf dem Friedhof ausgegraben wurde, an dem die U-Bahn direkt vorbeiführte. Zufälle. Aber Grund genug, auch andere Dinge an die Oberfläche zu schwemmen. Die Statistik.
Harry sah wieder auf die Uhr.
Er dachte an Rakel und Oleg. Sie waren zu Hause.
Zu Hause. Dort wollte er auch sein. Dort sollte er auch sein. Dort würde er nie sein. Nie ganz, nie voll, nicht so, wie er sich das wünschte. Denn es stimmte, er hatte es nicht in sich. Stattdessen war dieses andere in ihm, das wie ein fleischfressendes Bakterium das wahre Leben in ihm auffraß und das nicht einmal der Alkohol ganz im Zaum hatte halten können. Dabei wusste er auch nach so vielen Jahren nicht genau, was es war. Nur dass es in gewisser Weise dem ähnelte, was in Arnold Folkestad wütete. Ein Imperativ, der so stark und allumfassend war, dass er niemals alles erklärte, was er zerstörte.
Dann – endlich – rief sie an.
»Er hat vor ein paar Wochen eine ganze Reihe chirurgischer Instrumente und einen Chirurgenkittel bestellt. Dafür braucht man keine Autorisierung.«
»Sonst noch was?«
»Nein. Er scheint nicht viel im Netz gewesen zu sein. Sieht eher so als, als wäre er bewusst vorsichtig gewesen.«
»Sonst noch was?«
»Ich habe eine Querverbindung zwischen ihm und Verletzungen durch eine Schlägerei gesucht, um zu überprüfen, ob es da etwas gibt. Ich bin dabei auf eine Krankenhausakte von vor vielen Jahren gestoßen. Seine eigene.«
»Oh?«
»Ja. Er wurde mit Verletzungen eingeliefert, die der Arzt als stumpfe Gewalt durch Schläge eingestuft hat, während er selbst angegeben hat, auf einer Treppe gefallen zu sein. Der Arzt weist das als Ursache zurück und verweist auf die zahllosen Verletzungen am ganzen Körper, andererseits betont er, dass der Patient Polizist sei und selbst in der Lage zu entscheiden, was angezeigt werden soll und was nicht. Weiter bezweifelt der Arzt, dass das Knie des Patienten jemals wieder richtig funktionsfähig sein wird.«
»Dann ist er selbst geschlagen worden. Und was ist mit den Tatorten des Polizeischlächters?«
»Da habe ich keinerlei Verbindung gefunden. Er scheint während seiner Zeit beim Kriminalamt an keiner dieser Ermittlungen beteiligt gewesen zu sein. Ich habe aber einen Link zu einem der Opfer gefunden.«
»Aha?«
»René Kalsnes. Erst tauchte sein Name nur einmal kurz auf, woraufhin ich eine Kombinationssuche gemacht habe. Die zwei hatten viel miteinander zu tun. Flugreisen ins Ausland, die Folkestad für beide
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