Koma
Garagentür, aber auf der ansteigenden Ausfahrt schien das Ende ihrer kurzen Fahrt gekommen. Schließlich hingen sogar ihre Füße hinten herunter, während sie die Hände verzweifelt auf die glatte Oberfläche preßte.
Aber dann hatte der Laster die Straße erreicht, und der Fahrer mußte bremsen, bevor er nach links einbiegen konnte. Susan wurde plötzlich nach vorn katapultiert. Nach dem Aufenthalt in den hohen Temperaturen des Instituts traf sie die Kälte des Februarabends wie ein Keulenschlag. Der Wagen nahm Fahrt auf, und Susan geriet in Panik. Zentimeter für Zentimeter kroch sie auf das Führerhaus zu. Schließlich ertasteten ihre halb tauben Finger einen Ventilator. Sie klammerte sich mit letzter Kraft an das Drahtgitter. Bei der ersten Bodenschwelle flog sie hoch und knallte gleich darauf mit voller Wucht auf das Verdeck. Kinn und Nase schlugen so hart auf das Metall, daß ihr die Sinne schwanden. Was danach geschah, nahm sie kaum noch wahr.
Der eiskalte Fahrtwind brachte Susan wieder zu sich. Mit der rechten Hand hielt sie immer noch das Ventilatorgitter umklammert. Sie hob den Kopf und spürte, wie Blut von Nase und Lippen tropfte. Als sie noch etwas benommen die vorbeigleitenden Gebäude betrachtete, erkannte sie die Gegend. Haymarket. Natürlich, dachte Susan. Die Fahrt ging zum Logan Airport.
Auf der Straße herrschte immer noch dichter Verkehr. Nach einer Weile hielt der Lastwagen an einer Ampel. Susan kroch nach vorn zum Führerhaus. Sie schob die Beine über den Rand und stellte sich auf das Kabinendach. Dann setzte sie sich und suchte mit den Füßen die Motorhaube. Sie bückte sich und warf einen Blick durch die Windschutzscheibe auf den Fahrer. Der Mann hielt das Lenkrad umklammert, saß wie versteinert da und starrte sie an wie einen Geist.
Susan rutschte von der Motorhaube auf den Kotflügel und sprang auf die Straße. Sie landete auf allen vieren, raffte sich aber sofort auf und rannte zwischen den Autos hindurch in Richtung Government Center. Jetzt erst löste sich der Fahrer aus seiner Erstarrung. Er stieß die Tür auf und schrie hinter ihr her. Doch die ärgerlichen Rufe anderer Autofahrer und der Beginn eines Hupkonzerts brachten ihn schnell wieder in sein Fahrerhaus zurück. Die Ampel stand auf Grün. Als er den Gang einlegte und Gas gab, schüttelte er immer wieder den Kopf. Was er soeben erlebt hatte, würde ihm niemand glauben.
Donnerstag
26. Februar
20 Uhr 10
Die leichte, an vielen Stellen eingerissene Schwesterntracht bot wenig Schutz gegen die scharfe Kälte. Das Thermometer stand beträchtlich unter Null, und der böige Nordwind tat ein übriges. Susan rannte über den ausgestorbenen Haymarket, vorbei an verlassenen Gemüseständen. Immer wieder blies ihr der Wind leere Kartons vor die Füße. Deshalb kam sie nur mühsam voran und fühlte sich lebhaft an ihren morgendlichen Alptraum erinnert.
An der Ecke wandte sie sich nach links und mußte sich jetzt gegen die geballte Kraft des Windes stemmen. Sie zitterte am ganzen Körper, ihre Zähne klapperten, als schickten sie Notsignale in die Winternacht. Auf der Renommierstraße zur City Hall wurde es noch schlimmer. Die Bauten des Verwaltungszentrums mit ihren geschwungenen Fassaden wirkten wie ein Windkanal und verstärkten die Wucht des Nordwinds. Linker Hand ragte die City Hall in den dunklen Himmel. Ihre geometrischen Muster warfen verzerrte, gespenstische Schatten, und es war Susan, als trabte sie durch eine bedrohliche, futuristische Welt.
Vor allem brauchte sie jetzt ein Telefon. Als sie auf die Cambridge Street kam, begegnete sie wenigstens ein paar Menschen, die gebückt und gesichtslos durch die Kälte hasteten. Susan hielt den ersten Passanten auf ihrer Straßenseite an; es war eine Frau. Sie hob den Kopf, starrte Susan an, zuerst ungläubig, dann in steigendem Entsetzen.
»Ich brauche Kleingeld und muß ein Telefon finden«, stieß Susan zwischen ihren klappernden Zähnen hervor.
Wortlos schob die Frau Susans Arm beiseite und hastete weiter, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Susan sah an ihrer Schwesterntracht herunter – sie war zerrissen, völlig verschmutzt und blutbefleckt. Ihre Hände waren schwarz, das Haar hoffnungslos zerzaust und verklebt. Sie sah aus wie eine entlaufene Irre oder, etwas milder ausgedrückt, wie eine notorische Stadtstreicherin.
Als nächstes hielt sie einen Mann an und sagte ihren Spruch auf. Bei ihrem Anblick fuhr der Passant zurück. Dann griff er in die Tasche und
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