Koma
müssen. Der Narkotiseur hatte einem der schlimmsten Stürme zu trotzen, die je über den Anästhesieschirm zu ihm gedrungen waren. Es hagelte Schimpfworte und persönliche Aufforderungen, denen nachzukommen niemand geneigt sein konnte. Der zunächst assistierende Nachwuchschirurg hatte aufgeben müssen, nachdem ihn Dr. Cowleys Skalpell fast der rechten Zeigefingerkuppe beraubt hatte.
Cowley war einer der alteingesessenen, erfolgreichen Allgemein-Chirurgen des Memorial mit einem geräumigen eigenen Büro in Beard 10. Er stammte sozusagen aus dem Mutterboden des Memorial, war dort gepflanzt und aufgezogen worden. Jetzt nährte ihn das Memorial, und zwar nicht schlecht. Gewöhnlich war er ein allseits beliebter Kollege, stets zu Scherzen aufgelegt, steckte voller nicht eben stubenreiner Witze und Geschichten, lieh gern seinen Rat, wettete ebenso gern auf alles und jedes und lachte, wann immer es ihm angebracht erschien. Liefen die Dinge aber nicht nach seinem Wunsch, dann explodierte er wie ein Vulkan.
An diesem Tag stand nur eine Operation auf seinem Plan, aber die hatte es in sich. Es begann damit, daß die Hilfsschwester ihm statt der eigenen Instrumente einen Metallsalat vorsetzte, mit dem sonst nur niedere Assistenten auf die Gallenblasen ihrer Opfer losgelassen wurden. Dr. Cowley hatte so reagiert, wie man es von einem Mann seines Ranges erwarten durfte, und das Tablett kurzerhand auf den Boden geworfen. Dann besaß der Patient die Unverschämtheit, trotz Narkose beim ersten Einschnitt leicht zusammenzuzucken. Mit schier übermenschlicher Kraft hatte Cowley davon abgesehen, das Skalpell dem Anästhesisten an den Kopf zu werfen. Dann war die Röntgenaufnahme nicht zur Hand, als er nach ihr rief. Der Techniker bekam sein Teil ab und war daraufhin so nervös, daß alle anderen Aufnahmen kohlschwarz wurden.
Bei so viel Unverschämtheit kam Cowley gar nicht mehr dazu, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, was mit der Operation nun wirklich schiefgegangen war. Es handelte sich auch nur darum, daß er aus Versehen die Abbindung der Arterie gelockert hatte und die Wunde sich innerhalb von Sekunden mit Blut füllte. Es hatte ganz schön viel Mühe gekostet, die Arterie wieder abzubinden, ohne das Gewebe zu verletzen. Selbst nachdem die Blutung gestoppt war, befand sich Cowley im unklaren darüber, ob durch die Manipulation möglicherweise die Leber in Mitleidenschaft gezogen worden war.
Wie dem auch sei: Als Cowley in den Umkleideraum kam, barst er vor Wut. Schmähungen ausstoßend, ging er durch die Spindreihen zu seinem Schrank. Kappe und Maske flogen auf den Boden. Dann trat er gegen die Spindtür.
»Verdammte Idioten, Schwachköpfe, Nichtskönner! Der ganze Bau geht vor die Hunde!«
Der Fußtritt, gefolgt von einem gezielten Fausthieb gegen die Tür, hatte mehrere Auswirkungen. Erstens wurde eine Staubwolke aufgewirbelt, die fünf Jahre lang ungestört auf dem Spinddach gelegen hatte. Zweitens fiel ein einzelner Operationsschuh herab und verfehlte Cowleys Kopf nur um Zentimeter. Drittens sprang die benachbarte Spindtür auf, und ein Teil des Inhalts fiel heraus.
Cowley räumte zuerst den Schuh aus dem Weg, indem er ihn gegen die Wand schleuderte. Dann trat er die Tür des Nachbarschranks vollends auf, um die herausgefallenen Gegenstände leichter wieder hineinpacken zu können. Ein Blick auf den Spindinhalt ließ ihn jedoch in seinem konstruktiven Werk verharren.
Er sah genauer hin. Zu seinem grenzenlosen Erstaunen barg der Spind eine kaum übersehbare Kollektion der verschiedensten Medikamente. Manche Behälter waren angebrochen, viele aber noch verpackt. Da stapelten sich Ampullen, Flaschen, Röhrchen, Tabletten, Pillen, Dragees in bunter Reihe. Unter den Drogen, die herausgefallen waren, erkannte Cowley Demerol, Succinylcholin, Innovar und Curare. Im Schrank lagen noch verschiedene andere Medikamente, darunter ein unberührter Karton mit Morphiumampullen, ferner Spritzen und Plastikschläuche.
Cowley räumte alles wieder ein und verschloß den Schrank. Dann notierte er in seinem Notizbuch die Nummer: 338. Er war entschlossen, der Sache nachzugehen und herauszufinden, wem der Spind gehörte. Trotz seiner Wut hatte er sofort begriffen, was sein Fund bedeutete und welch gravierende Folgen dieses offensichtlich heimlich angelegte Drogenversteck für das Memorial haben konnte.
Montag
23. Februar
10 Uhr 15
Susan Wheeler konnte sich nicht im Ärzteraum umziehen, weil der als Männer-Umkleidezimmer
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