Koma
waren. In einem Wettbewerbsunternehmen, überlegte er, wäre irgend jemand so vernünftig gewesen, die Empfangsdame auf gebräuchlichere Farbtöne hinzuweisen.
»Also, tut mir leid«, meinte das Mädchen, »aber ich habe Sie nicht in den Unterlagen. Da müssen Sie schon warten, bis ich die anderen Patienten erledigt habe. Dann ruf ich die Aufnahme an, und wir werden sehen. Nehmen Sie doch bitte Platz.«
Und damit begann für Sean Berman das Durcheinander. Er nahm Platz und wartete. Der große Zeiger der Wanduhr machte eine volle Umdrehung, bis er aufgenommen war.
»Kann ich bitte Ihre Röntgenanweisung haben?« bat die junge spindeldürre Röntgenassistentin. Berman hatte mehr als vierzig Minuten im Wartezimmer gesessen, bevor er aufgerufen worden war.
»Ich habe keine Röntgenanweisung«, sagte er und durchwühlte den Papierstapel, den man ihm mit auf den Weg gegeben hatte.
»Sie müssen aber eine haben. Alle Neuaufnahmen haben welche.«
»Ich nicht.«
»Ist unmöglich.«
»Ich sag’s Ihnen doch.«
Einen Vorteil hatte die lächerliche und nervenaufreibende Aufnahmeprozedur dennoch: Sie nahm Bermans Bewußtsein völlig in Anspruch. Er kam gar nicht dazu, an seine Operation zu denken. Doch als er erst in seinem Zimmer lag und durch die halboffenen Nachbartüren undeutliches Stöhnen vernahm, änderte sich das schlagartig. Sean Berman wurde mit seinem Schicksal konfrontiert. Der Anblick seiner Mitpatienten mit dicken Bandagen und Schläuchen, die aus allen möglichen und unmöglichen Stellen hervorkamen, tat ein übriges. Sobald ihn die Krankenhauswelt im Griff hatte, half alle Verweigerung nichts mehr.
Fortan war Berman bemüht, durch intensives Nachdenken über das, was ihn erwartete, der Sache den Stachel zu nehmen. Zur philosophischen Einstellung gehörte es, sich über alles lustig zu machen. Man mußte die heiteren Seiten sehen.
»Ich bin Diätassistentin und möchte den Speiseplan mit Ihnen besprechen«, sagte ein korpulentes Frauenzimmer, das nach kurzem Anklopfen mit einem großen Block in sein Zimmer trat. »Sie warten hier auf Ihre Operation, nehme ich an?«
»Operation?« Berman grinste. »Ja, das mache ich einmal pro Jahr, ist mein Hobby.«
Ebenso wie die Diätassistentin mußten auch das Mädchen vom Labor und die Schwestern mit anhören, wie Berman den Zweck seines Krankenhausaufenthalts zum Jahrhundertulk zu machen versuchte.
Das half ihm einigermaßen, aber nur bis zum Morgen der Operation. Irgendein Klappern im Flur hatte ihn um halb sieben geweckt, und kein Trick brachte ihn wieder zum Schlafen. Lesen? Unmöglich. Die Zeit schleppte sich quälend dahin. Unendlich langsam, doch gnadenlos rückte die Uhr auf elf, den Zeitpunkt des Eingriffs. Sein leerer Magen knurrte und knurrte.
Um fünf nach elf flog die Tür auf. Bermans Puls machte einen Sprung. Sein Blick fiel auf eine abgehetzte Schwester.
»Mr. Berman, das wird noch etwas dauern.«
»Dauern? Wie lange?« Berman zwang sich, höflich zu bleiben.
»Keine Ahnung. Halbe Stunde, eine Stunde.« Die Schwester zuckte die Schultern.
»Aber warum, zum Teufel? Ich bin am Verhungern.« Das stimmte gar nicht. Um Hunger zu haben, war Berman viel zu nervös.
»Im OP hat’s einen Stau gegeben. Ich komme später wieder und gebe Ihnen die Vorbereitungsinjektion. Ruhen Sie sich solange aus.« Und die Schwester war verschwunden. Berman lag da, mit offenem Mund, einem Mund, in dem hundert Fragen steckten. Ausruhen? Lachhaft. Ganz im Gegenteil! Bis Susan Wheeler auftauchte, hatte Berman den ganzen Morgen in kaltem Angstschweiß gelegen, hatte jede Minute gezählt, wollte die Zeit festhalten und war gleichzeitig voller Ungeduld, daß die Uhr endlich weiterging. Zeitweise hatte er sich seiner Angst auch geschämt und sich gefragt, ob ihr Ausmaß nicht in einem geradezu lächerlichen Verhältnis zu dem bevorstehenden Eingriff stand. War seine Operation nicht in Wahrheit eine Bagatelle? Wenn das stimmte, würde er nie die Kraft aufbringen, sich in einer wirklich ernsten Sache unter das Messer zu begeben. Berman fürchtete Schmerzen, fürchtete, daß sein Bein entgegen den ärztlichen Versicherungen nicht um achtundneunzig Prozent besser werden würde, machte sich Sorgen über den Gips, den er noch mehrere Wochen tragen müßte. Vor der Narkose hatte er keine Angst. Wenn er überhaupt in diesem Zusammenhang Befürchtungen hegte, dann die, daß er möglicherweise wach bleiben könnte. Nein, Berman wollte keine lokale Betäubung. Er wollte weg sein,
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