Koma
zu erkennen.
Hinter Bellows lehnte sich ein Kollege vor und flüsterte: »Der spricht über die Greenly, du Arschloch!«
»Also«, hüstelte Bellows, während er aufstand. »Gestern hatte sie leicht erhöhte Temperatur. Aber beim Abhorchen nichts Auffälliges in der Brust. Die Röntgenaufnahmen vor zwei Tagen zeigten auch nichts. Aber wir machen heute neue. In ihrem Urin waren Bakterien, und wir glauben, der Temperaturanstieg wurde durch einen Blasenkatarrh und nicht durch Lungenentzündung hervorgerufen.«
»Haben Sie sich nicht im Pronomen geirrt, Dr. Bellows?« Stark ging von der Leinwand wieder zum Pult. Susan gab sich Mühe, ihn besser zu sehen. Immerhin handelte es sich um den berühmten und gefürchteten Chef der Chirurgie.
»Pronomen, Sir?« Bellows Stimme klang eingeschüchtert.
»Pronomen, jawohl. Sie wissen doch wohl noch, was ein Pronomen ist, Dr. Bellows?«
Aus dem Dunkel kam Gekicher.
»Ja, das weiß ich.«
»Na, sehen Sie. Hört sich schon besser an.«
»Was hört sich besser an?« Jetzt wollte Bellows es genau wissen, aber im selben Augenblick verfluchte er seine Dummheit. Das Gelächter im Saal nahm zu.
»Die Wahl Ihrer Pronomen hört sich jetzt besser an, Dr. Bellows. Das ›wir‹ mißbehagt mir aus dem Mund eines behandelnden Klinikarztes. Ihre Ausbildung lehrt Sie, aufgrund Ihrer Beobachtungen und Diagnosen eine Entscheidung zu treffen. Und wenn ich einen von Ihnen nach einem Fall frage, will ich Ihre Meinung hören, nicht die eines Teams. Zur Grundlage der Entscheidung tragen stets mehrere bei, aber wenn sie gefallen ist, müssen Sie diese Entscheidung vertreten, und zwar per ›ich‹ und nicht per ›wir‹.«
Stark ging wieder die paar Schritte zur Leinwand und lehnte sich auf den Zeigestock. »Also, zurück zur Behandlung komatöser Patienten. Ich möchte noch einmal betonen, daß Sie hier immer auf der Hut sein müssen, Gentlemen, rund um die Uhr. Das kann bei diesen Patienten eine äußerst frustrierende Angelegenheit sein, da die Behandlung bei extrem ungünstiger Prognose gleichzeitig extrem intensiv ist. Aber die Ergebnisse rechtfertigen die Mittel. Denken Sie nur daran, was für ein hervorragender Anschauungsunterricht das ist. Wenn das Gehirn ausfällt, ist die Homöostase …«
An einer Seitenwand flackerte plötzlich rotes Licht; es blinkte wie besessen. Alle Köpfe drehten sich in diese Richtung. Auf dem Fernsehschirm unter der Signallampe leuchteten Buchstaben auf, Worte: Herzstillstand – Intensivstation, Beard 2.
»Scheiße«, fluchte Bellows leise, als er aufsprang. Cartwright und Reid folgten ihm auf den Fersen. Susan und die vier anderen Studenten zögerten, sahen einander an. Dann standen sie ebenfalls auf.
»Wie ich sagte, ist die Homöostase schwierig, wenn das Gehirn irreparabel zerstört ist. Nächstes Dia, bitte.« Stark sah auf seine Notizen auf dem Pult. Der Exodus schien ihn nicht zu interessieren.
Montag
23. Februar
12 Uhr 16
Zweifellos hatte Sean Berman Angst vor seiner Operation. In der Medizin kannte er sich wenig aus. Auch wenn er sich nun tiefere Einsichten wünschte, hatte er sich doch nie die Mühe gemacht, Genaueres über sein spezifisches Problem und die Modalitäten der Heilung in Erfahrung zu bringen. Medizinisches – Krankheiten überhaupt – verursachten ihm eine Gänsehaut. Daß er selbst sich einer Operation unterziehen sollte, empfand er deshalb als Attentat auf seine Sensibilität, und die Vorstellung, daß jemand seiner Haut mit einem Messer zu Leibe rücken würde, entzog sich für ihn rationaler Kalkulation. Allein der Gedanke daran ließ seinen Magen in die Kniekehlen sinken und trieb ihm den Schweiß auf die Stirn. Also versuchte er, nicht daran zu denken. Im Fachjargon der Psychiatrie wäre das als Verweigerung registriert worden. Und Sean Berman hatte einigermaßen erfolgreich Verweigerung betrieben, jedenfalls so lange, bis er am Nachmittag vor dem Operationstermin ins Krankenhaus kam.
»Mein Name ist Berman. Sean Berman.« Die Aufnahmeprozedur war ihm nur allzugut in Erinnerung. Gleich zu Beginn hatte er sich hoffnungslos in der Bürokratie des großen Hospitals verfilzt.
»Berman? Sind Sie sicher, daß Sie heute hier im Memorial aufgenommen werden sollen?« Das Fräulein vom Empfang war zuvorkommend, trug zuviel Make-up und hatte die Nägel schwarz lackiert.
»Klar bin ich sicher.« Berman konnte den Blick nicht von dem schwarzen Nagellack lösen. Darin zeigte sich für ihn, daß Krankenhäuser Monopolbetriebe
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