Koma
lagen die Verordnungsbogen, darunter die Kurven, die den Zustand des Patienten anzeigten. Dann kam die Krankengeschichte, zusammen mit den Untersuchungsergebnissen vom Tag der Aufnahme. Den Rest machten die Behandlungsunterlagen aus: Operation, Anästhesie, Aufzeichnungen der Schwestern, zahllose Laborangaben, Röntgenberichte und dergleichen mehr.
Da Susan nicht wußte, was für ihre Untersuchung wichtig sein würde, machte sie von vornherein ausführliche Notizen. Sie vermerkte Namen, Alter, Geschlecht usw. Es folgten die wenigen medizinischen Fakten aus dem Vorleben, die alle darauf hindeuteten, daß Nancy Greenly kerngesund gewesen war. Es fand sich auch der Hinweis auf eine Großmutter, die einen Schlaganfall erlitten hatte. Nancy selbst war mit achtzehn an Mumps erkrankt, mit offenbar komplikationsfreiem Verlauf. Herz und Lunge waren in Ordnung. Susan notierte die Laborwerte der präoperativen Untersuchung: Blut und Urin normal. Schwangerschaftstest: negativ. Dann verschiedene Blutgerinnungstests, Blutgruppen- und Gewebetypusbestimmung, Thorax-Durchleuchtung, EKG. Außerdem lag das chemische Profil mit einer langen Reihe von Testergebnissen vor. Alle Werte bewegten sich innerhalb der Norm.
Nachdem Susan den letzten Sandwichbissen mit dem Rest Milch heruntergespült hatte, nahm sie sich die Operationsunterlagen vor, insbesondere den Anästhesie-Bericht. Die präoperativen Medikationen waren: Demerol und Phenergan um 6 Uhr 45, verabreicht durch eine der Schwestern von Beard 5. Atemschlauch vom Typ Nummer 8. Um 7 Uhr 24 zwei Gramm Pentothal in die Infusion. Halothan, Lachgas, Sauerstoff ab 7 Uhr 25. Halothan-Konzentration anfänglich zwei Prozent, innerhalb weniger Minuten auf ein Prozent reduziert. Lachgas und Sauerstoff: drei bzw. zwei Liter pro Minute. Zur Muskelentspannung Dosen von jeweils zwei Kubikzentimetern 0,2prozentigem Succinylcholin um 7 Uhr 26 und 7 Uhr 40.
Susan erfuhr, daß der Blutdruck um 7 Uhr 48 rapide abgefallen war, nachdem er sich zuvor auf 105:75 gehalten hatte. Zu diesem Zeitpunkt wurde die Halothan-Eingabe auf ein halbes Prozent reduziert, die Zufuhr von Lachgas und Sauerstoff auf zwei und drei Liter verändert. Der Blutdruck erhöhte sich auf 100:60. Susan kopierte die Anästhesie-Kurve.
Die schriftlichen Narkoseaufzeichnungen wurden immer undeutlicher. Soviel Susan herausbekam, blieb der Blutdruck bei etwa 100:60 und der Puls bei siebzig Schlägen je Minute. Obwohl der Herzschlag stabil war, gab es Veränderungen im Rhythmus, die Dr. Billing jedoch nicht näher beschrieben hatte.
Susan entnahm den Unterlagen, daß Nancy Greenly um 8 Uhr 51 in den Aufwachsaal gebracht worden war, wo ein Nervenstimulator angeschlossen wurde, um die periphere Nerventätigkeit zu testen. Ursprünglich hatte man angenommen, daß sie die zusätzliche Dosis Succinylcholin nicht umsetzen konnte. Doch beide Ellenbogennerven hatten reagiert, und damit schien klar, daß die Komplikation eine zentrale Ursache hatte, also aus dem Gehirn kam.
Während der folgenden Stunde war verschiedenes versucht worden. So hatte Nancy Greenly vier Milligramm Narcan bekommen, um einer etwaigen idiosynkratischen Überempfindlichkeit auf die präoperative Medikation entgegenzuwirken. Ohne Ergebnis. Um 9 Uhr 15 wurde ihr eine Dosis von 2,5 Milligramm Neostigmin verabreicht, für den Fall, daß die Nervenblockade und damit die Paralyse auf Curare-Symptome zurückzuführen waren. Außerdem war Nancy Greenly frisch gefrorenes Blutplasma zugeführt worden, weil man auf diese Weise mögliche Succinylcholin-Rückstände entfernen wollte. Beide Maßnahmen hatten leichte Muskelzuckungen zur Folge, mehr nicht.
Die Anästhesie-Aufzeichnungen endeten mit einer lakonischen Feststellung in Dr. Billings Handschrift: »Verzögerte Wiedererlangung des Bewußtseins in der Postanästhesie-Phase, Ursache unbekannt.«
Susan nahm sich als nächstes den Operationsbericht vor, der von Dr. Major diktiert worden war.
Datum: 14. Februar 1976
Präoper. Diagnose: Dysfunktionelle Uterusblutungen
Postop. Diagnose: dito
Chirurg: Dr. Major
Anästhesie: Endotracheal – Halothan
Blutverlust (geschätzt): 500 ccm
Komplikationen: Verzögerte Bewußtseinserlangung nach Beendigung der Anästhesie.
Vorgang: Nach angemessener präoperativer Medikation (Demerol und Phenergan) wurde die Patientin in den OP gebracht und an den Herzmonitor angeschlossen. Die Narkoseeinleitung und die Einführung des Luftröhrenschlauchs verliefen reibungslos. Der Damm wurde
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