Koma
hatte Salat nehmen wollen, stellte aber nach einem prüfenden Blick den Napf wieder hin. Bellows, durch Erfahrung klug geworden, steuerte direkt auf die Sandwichabteilung zu und traf seine Auswahl. »Da können Sie nicht viel falsch machen«, rief er Susan zu.
Die beäugte mißtrauisch die warmen Gerichte und ging weiter. Schließlich folgte sie Bellows’ Beispiel und wagte sich an ein Thunfisch-Sandwich heran.
Die Kasse war unbesetzt, die Kassiererin weit und breit nicht zu sehen. »Kommen Sie«, drängte Bellows, »so viel Zeit haben wir nicht.«
Obwohl sie sich wie eine Ladendiebin vorkam, folgte Susan ihm zu einem Tisch und nahm Platz. Das Sandwich hielt, was die Kantine versprach. Auf mysteriöse Weise war zuviel Wasser in den Thunfisch gekommen, Belag und Brot waren durchgeweicht. Doch die ausgehungerte Susan nahm auch damit vorlieb.
»Um zwei ist Vorlesung.« Bellows, der gerade einen großen Bissen genommen hatte, sprach mit vollem Mund. »Also, beeilen Sie sich!«
»Mark?«
»Ja?« Bellows trank mit einem Schluck seine Milch halb aus. Offensichtlich war er ein Schnellesser.
»Mark, wären Sie sehr beleidigt, wenn ich meine erste Chirurgie-Vorlesung schwänze?« fragte Susan vorsichtig.
Bellows gab der zweiten Hälfte seines belegten Brotes eine Galgenfrist. Flirtete die etwa mit ihm? Er verwarf den Gedanken.
»Beleidigt? Nee, warum? Wieso fragen Sie?« Bellows hatte den Eindruck, daß er manipuliert wurde und sich nicht recht dagegen wehren konnte.
»Ja, wissen Sie, ich fühle mich einer Vorlesung im Moment eigentlich nicht gewachsen.« Susan öffnete ihren Milch-Pappbehälter. »Die Sache mit Berman hat mir doch ziemlich zugesetzt. Ich bin nervös und könnte nicht stillsitzen. Ich muß irgend etwas tun, dann wird mir bestimmt besser. Dachte, ich geh’ mal in die Bibliothek und informiere mich über Anästhesie-Komplikationen. Damit kann ich meine Analyse anfangen. Außerdem hab’ ich dann gleich Gelegenheit, über die Dinge von heute morgen nachzudenken und sie innerlich ein wenig zu verarbeiten.«
»Das macht Ihnen noch sehr zu schaffen, nicht wahr? Würden Sie gern darüber reden?«
»Danke, nein, ich werd’ mich schon wieder fangen.« Susan war über den unvermuteten Beweis menschlichen Mitgefühls fast gerührt.
»Die Vorlesung ist nicht so furchtbar wichtig. So ’ne Art allgemeine Einführung von einem der emeritierten Professoren. Hinterher wollte ich allerdings mit Ihnen allen in die Station, damit Sie Ihre Patienten kennenlernen.«
»Mark?«
»Ja?«
»Vielen Dank.«
Susan stand auf, lächelte ihn an und ging. Bellows schlang die zweite Hälfte seines Thunfisch-Sandwichs herunter. Er war nicht einmal sicher, wofür Susan ihm gedankt hatte. Als sie die Cafeteria durchquerte, blickte er ihr nach. Sie stellte ihr Tablett ab, nahm aber die Milch und das halb gegessene Sandwich mit. An der Tür drehte sie sich um und winkte ihm zu. Bellows wollte die Geste erwidern, aber bevor er noch die Hand ganz gehoben hatte, war Susan verschwunden.
Etwas verlegen sah sich Bellows um: Ob jemand ihn dabei beobachtet hatte? Er nahm schnell wieder eine unauffällige Haltung ein und dachte über Susan nach. Zugegeben, er fühlte sich von ihr angezogen, und zwar auf eine erfrischend natürliche Weise, die ihn an frühere Zeiten erinnerte. Er spürte sogar fast so etwas wie Aufregung. Sie brachte seine mühsam erworbene Selbstdisziplin ins Wanken, und seine Phantasie zauberte ihm romantische Bilder vor, bei denen Susan im Mittelpunkt stand. Im nächsten Moment schalt er sich für diese nachpubertären Anwandlungen.
Auf dem Weg zum Tablettständer trank er mit einem Schluck seine Milch aus. Dabei überlegte er, ob er es wagen konnte, Susan um ein Rendezvous zu bitten. Es gab dabei zwei Probleme. Eins war zweifellos Stark, mit anderen Worten, die eigene Karriere. Wie würde der Chef reagieren, wenn seine Stationsärzte anfingen, die ihnen zugeteilten Studentinnen auch außerdienstlich unter ihre Obhut zu nehmen? Bellows wußte nicht einmal, ob überhaupt Grund zur Befürchtung bestand. Immerhin: Stark schien verheiratete Stationsärzte zu bevorzugen. Er fand sie zuverlässiger; für Bellows war das purer Unsinn. Irgendeine Art privater Beziehung zu einer Studentin geheimzuhalten, schien kaum möglich. Stark würde es herausbekommen, und das könnte böse Folgen haben. Das zweite Problem war Susan selbst. Sie war zweifellos attraktiv und hatte vor allem Köpfchen. Aber war sie auch anschmiegsam?
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