Koma
Fiberglasstühlen mit bunten Lederkissen in den Farben Orange und Grün.
Stark saß hinter dem schweren Schreibtisch. Die Gestalt des Chefchirurgen wurde im getönten Fensterglas und im Spiegel hundertfach reflektiert. Er hatte die Füße auf eine Schreibtischecke gelegt und saß so, daß er beim Lesen das Tageslicht im Rücken hatte.
Sein beigefarbener maßgeschneiderter Anzug saß makellos auf der schlanken Figur, das orangefarbene seidene Tuch in der linken Brusttasche wirkte als Farbakzent etwas gewollt. Das ergrauende Haar trug er mäßig lang und zurückgekämmt, so daß es gerade eben die Ohrenspitzen bedeckte. Das Gesicht wirkte aristokratisch, mit scharfgeschnittenen Zügen und einer schmalen Nase. Er trug eine Brille mit Halbgläsern. Seine grünen Augen blickten aufmerksam auf das Papier in seiner Hand.
Die Kombination von überaus eindrucksvoller Kulisse und Starks Ruf als Genius der Chirurgie hätte Susan eingeschüchtert, wenn der Mann sie nicht mit einem so ungezwungenen freundlichen Lächeln begrüßt und dann diese legere Haltung eingenommen hätte. Die Füße auf der Tischplatte machten Susan Mut und schienen auszudrücken, daß der Mann den ganzen Firlefanz um die Machtbefugnisse im Memorial in Wahrheit gar nicht so ernst nahm. Und mit ihrer Einschätzung, daß Starks außergewöhnliches Können sowohl als Chirurg wie als medizinischer Administrator es ihm erlaubte, die Konventionen weitgehend zu ignorieren, traf sie genau ins Schwarze. Er hatte zu Ende gelesen und blickte Susan an.
»Verehrte junge Dame, das ist eine äußerst interessante Lektüre. Sicher ist Ihnen klar, daß ich mit den chirurgischen Fällen bestens vertraut bin, aber daß die Internisten ähnliche Probleme haben, davon hatte ich keine Ahnung. Ob beides wirklich zusammenhängt, ist sehr ungewiß, aber ich muß Ihnen das Verdienst einräumen, als erste auf diese Möglichkeit hingewiesen zu haben. Und diese zwei Fälle von Atemstillstand mit Exitus mit den anderen Problemen in Zusammenhang zu bringen, ich muß schon sagen … Das ist einerseits sehr weit hergeholt, andererseits aber fast genial. Das gibt wirklich Stoff zum Nachdenken. Sie, mein Fräulein, stellen den Zusammenhang her, weil nach Ihrer Ansicht ungenügende Beatmung und damit Sauerstoffmangel allen Fällen gemeinsam ist. Meine erste Reaktion darauf, aber, wohlgemerkt, nur die erste, wäre der Einwand, daß damit nicht die Anästhesie-Fälle erklärt werden können. Dort nämlich erfolgt die ganze Zeit über künstliche Beatmung. Ferner stellen Sie die Möglichkeit zur Diskussion, daß eine frühere Gehirnentzündung oder Hirninfektion die Patienten anfälliger gegen Narkosekomplikationen macht … Wir wollen mal überlegen.«
Er nahm schwungvoll die Füße vom Tisch und drehte sich mit dem Sessel zum Fenster. Geistesabwesend holte er die Brille von der Nase und kaute an einem Bügelende.
»Die Parallele zum Parkinsonismus drängt sich auf. Der wird neuerdings mit vorangegangenem unerkannten Virenbefall in Verbindung gebracht. Damit ist wohl auch Ihre Theorie nicht ganz abwegig. Aber wie könnte man das beweisen?« Stark drehte sich mit seinem Sessel halb herum und sah Susan an. »Und Sie können mir eines glauben: Die Anästhesie-Fälle haben wir bis zum Erbrechen untersucht. Alles, und ich meine buchstäblich alles, wurde mit größter Genauigkeit unter die Lupe genommen, von einer Menge von Leuten, Anästhesisten, Epidemiologen, Internisten, Chirurgen … Jeder, der uns nur irgendwie wichtig erschien, wurde zur Untersuchung herangezogen. Ausgenommen allerdings eine Medizinstudentin.«
Stark lächelte freundlich, und Susan fühlte sich der weithin gerühmten Ausstrahlung dieses Mannes ziemlich widerstandslos ausgeliefert. Auf jeden Fall aber wurde ihr Selbstbewußtsein enorm gestärkt.
»Meiner Ansicht nach«, fing sie an, »müßte man sich zuerst auf den Zentralcomputer konzentrieren. Die Daten, die ich mir beschaffen konnte, reichen nur ein Jahr zurück und wurden bei weitem nicht gezielt genug abgefragt. Es ist überhaupt nicht abzusehen, was der Computer alles ausspuckt, wenn sämtliche Möglichkeiten ausgeschöpft werden. Man sollte zum Beispiel für die letzten fünf Jahre alle Fälle abrufen, die unter den Stichworten Atemstillstand, Koma und Todesfälle mit unbekannter Ursache gespeichert sind.
Wenn man dann eine vollständige Liste aller möglicherweise zusammenhängenden Fälle hat, müßten die Krankenblätter durchgekämmt werden mit dem Ziel,
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