Koma
ausgesprochenen Dickschädel und dazu noch eine fruchtbare Phantasie.« Bellows überlegte, warum er dieses Attribut gebraucht hatte, um Susans Vorstellungskraft zu beschreiben. »Sie ist in die Sache reingeraten, weil ausgerechnet die beiden ersten Patienten, mit denen sie hier Kontakt hatte, zu den Koma-Opfern gehören.«
»Wie auch immer: Gehen wir mal einfach davon aus, daß Sie jetzt gewarnt sind. Was diese Studentin tut, fällt auf Sie zurück, vor allem dann, wenn Sie ihr auch nur die geringste Unterstützung zukommen lassen. Aber das war nur einer der Gründe für unsere Besprechung. Da ist noch ein Problem, und mit Sicherheit ein größeres. Sagen Sie mir doch bitte, Mark, welche Schranknummer haben Sie oben bei den OPs?«
»Acht.«
»Und was ist mit Nummer 338?«
»Die hatte ich vorübergehend. Etwa eine Woche lang, bis die acht frei wurde.«
»Warum haben Sie 338 nicht behalten?«
»Soviel ich weiß, gehörte der Schrank jemand anderem, und ich habe ihn nur benutzt, bis ich einen eigenen bekam.«
»Wissen Sie die Schloßkombination von 338 noch?«
»Wahrscheinlich, wenn ich mein Gedächtnis sehr anstrenge. Aber warum fragen Sie das alles eigentlich?«
»Weil Dr. Cowley eine merkwürdige Entdeckung gemacht hat. Er behauptet, 338 hätte sich wie von Zauberhand geöffnet, als er sich umzog, und der ganze verdammte Schrank hätte bis oben hin voll Drogen gesteckt. Wir haben das überprüft, und er hatte recht. Alle Arten von Drogen, die man sich nur vorstellen kann, inklusive Narkotika. Auf der Schrankliste, die ich hier habe, steht Ihr Name hinter 338 und nicht hinter acht.«
»Wer soll Nummer acht haben?«
»Dr. Eastman.«
»Aber der hat doch seit Jahren nicht mehr operiert.«
»Eben, eben. Sagen Sie mir, Mark, wer hat Ihnen die Nummer acht zugewiesen? Walters?«
»Stimmt. Walters sagte mir erst, ich soll 338 benutzen, und dann gab er mir die Nummer acht.«
»Na schön. Reden Sie mit niemandem darüber, vor allem nicht mit Walters. So ein Drogenversteck zu finden ist eine verdammt ernste Sache, schon wenn man an die Umstände denkt, die erforderlich sind, bis man normalerweise überhaupt an das Zeug herankommt. Weil Sie auf meiner Schrankliste unter 338 eingetragen sind, wird sich die Krankenhausverwaltung höchstwahrscheinlich mit Ihnen in Verbindung setzen. Aus ersichtlichen Gründen sind die nicht gerade wild darauf, daß die Sache publik wird, vor allem nicht wegen der neuen behördlichen Drogenzugangskontrollen. Also, behalten Sie’s streng für sich. Und denken Sie um Himmels willen daran, Ihre Studentin von den Anästhesie-Komplikationen wegzubringen.«
Bellows verließ ziemlich bedrückt Chandlers Höhle. Daß er mit Susans Aktivitäten in Verbindung gebracht wurde, überraschte ihn keineswegs, das hatte er ohnehin befürchtet. Aber die Neuigkeit mit den Drogen, die ausgerechnet in einem Schrank aufgetaucht waren, der unter seinem Namen lief: das war eine ganz andere, viel gravierendere Sache. Im Geist sah er Walters vor sich, wie er durch den Operationstrakt schlich. Warum wollte jemand in derartigem Umfang Drogen horten? Bellows merkte, daß er sich vor übereilten Schlußfolgerungen hüten mußte. Übernatürlich und dämonisch, das waren die Worte, die Susan gebraucht hatte. Sehr gern hätte Bellows gewußt, welche Mittel in Schrank 338 gefunden worden waren. Ob er Susan von dieser Entdeckung erzählen sollte?
Dienstag
24. Februar
14 Uhr 30
Susan ließ den Blick schweifen, als sie dem Chef der Chirurgie in seinem Büro gegenübersaß. Es war ein Raum wie aus dem Einrichtungskatalog für Direktionsetagen: großzügig und exquisit möbliert. Zwei Wände bestanden fast nur aus Fensterglas und lieferten ein Bilderbuchpanorama von Charlestown bis zum Bostoner Nordend. Die Brücke über den Mystic River war zum Teil von grauen Schneewolken verhüllt. Der Wind hatte landeinwärts gedreht und blies jetzt aus dem Norden arktische Kaltluft in die Stadt.
Starks Teakholzschreibtisch mit einer Platte aus weißem Marmor stand quer zur Nordwestecke des Büros. Die Wand rechts dahinter war vom Boden bis zur Decke mit Spiegelglas verkleidet. In die vierte Wand neben der Tür zum Vorzimmer war ein luxuriös gearbeitetes Bücherregal eingelassen. Ein Teil des Regals war zu einem Schrank umgewandelt, und durch einen Spalt in der Tür sah man blinkende Gläser, Flaschen und einen kleinen Kühlschrank.
In der Ecke gegenüber dem Schreibtisch stand ein niedriger Glastisch, umgeben von
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