Koma
einen gemeinsamen Nenner zu finden. Ferner wären die Familien der betroffenen Patienten zu befragen, um möglichst viele Anhaltspunkte über Erkrankungen in der Vergangenheit zu bekommen, zum Beispiel Virusinfektionen, Krankheitsverläufe. Gleichzeitig müßte man umgehend damit beginnen, mit Hilfe aller derzeitigen Opfer ein Serum zu entwickeln, um künftigen Wiederholungen vorzubeugen.«
Beim Sprechen beobachtete Susan Starks Gesicht genau, um gegen Ausbrüche ähnlich denen von Nelson und Harris gewappnet zu sein. Starks Miene zeigte jedoch nachdenklichen Gleichmut. Offensichtlich folgte er interessiert Susans Darlegungen. Hier, dachte sie, saß sie endlich einmal einem Arzt gegenüber, der sich ein neutrales Urteil bewahrt hatte und für Neues zugänglich war. Und als er schließlich sprach, waren seine Einwände rein sachlicher Natur.
»Schutzimpfungen nach dem Schrotkugel-Prinzip sind in solchen Fällen nie besonders effektiv. Dafür kosten sie viel Zeit und noch mehr Geld.«
»Es gibt aber neue Immunologie-Techniken, die diese Nachteile weitgehend wettgemacht haben.«
»Schon möglich. Trotzdem wäre der Einsatz bei einem so unsicheren Ergebnis zu groß. Ich müßte erst hieb- und stichfeste Beweise haben, bevor ich derartige Ausgaben rechtfertigen könnte. Aber Sie sollten das alles einmal Dr. Nelson vortragen, dessen Spezialgebiet Immunologie ist.«
»Ich glaube kaum, daß Dr. Nelson daran interessiert wäre«, sagte Susan.
»Wie kommen Sie darauf?«
»Um die Wahrheit zu sagen, ich habe schon mit Dr. Nelson gesprochen, und daher weiß ich, daß ihn die Sache nicht interessiert. Und er war nicht der einzige. Als ich die Angelegenheit einem anderen Abteilungschef vortrug, hätte ich ums Haar eine Tracht Prügel bezogen wie ein ungezogenes Kind, das in der Speisekammer ertappt wird. Ich werde das Gefühl nicht los, daß hier noch etwas ganz anderes im Spiel ist.«
»Und was sollte das sein?« Stark studierte noch einmal Susans Notizen.
»Nun ja, ich weiß nicht recht, wie ich es nennen soll … Sagen wir, unerlaubte Machenschaften … finstere Umtriebe.«
Susan unterbrach sich, weniger weil ihr die Sprache ausgegangen wäre, als in Erwartung schallenden Gelächters oder eines gepfefferten Donnerwetters. Aber Stark drehte sich nur mit seinem Sessel und ließ den Blick wieder über die Stadt schweifen.
»Unerlaubte Machenschaften«, wiederholte er schließlich und ließ jede Silbe auf der Zunge zergehen. »Ich muß schon sagen, Dr. Wheeler, Sie haben eine ausgeprägte Phantasie.« Abrupt drehte er sich wieder herum, stand auf und kam hinter dem Schreibtisch hervor. »Unerlaubte Machenschaften …« sagte er noch einmal vor sich hin. »Ich muß zugeben, daran habe ich überhaupt noch nicht gedacht, nicht mal im Traum.« Stark war erst am Morgen über Dr. Cowleys Drogenfund in Spind Nummer 338 informiert worden, und die Neuigkeit hatte ihn aufgeschreckt. Er lehnte sich gegen den Schreibtisch und blickte auf Susan hinunter.
»Wenn Sie so etwas wie unerlaubte Machenschaften im Sinn haben, stellt sich zunächst die Frage nach dem Motiv. Könnte es denn wirklich ein Motiv für diese Serie schrecklicher Vorkommnisse geben? Die Fälle sind doch viel zu unterschiedlich. Und Koma? Das hieße doch, daß da ein ausgesprochen befähigter Psychopath am Werk wäre, der ein völlig irrationales Spiel triebe. Aber das Entscheidende bei dieser Lesart wäre doch, daß Ihre sogenannten unerlaubten Machenschaften im OP gar nicht zu realisieren wären. An einer Operation sind viel zu viele Menschen beteiligt, die den Patienten viel zu genau beobachten. Ich gebe ja zu, die Untersuchungen müßten unvoreingenommen geführt werden, und man dürfte keine Möglichkeit von vornherein ausschließen, aber ich glaube kaum, daß diese Sache wirklich eine kriminelle Komponente haben könnte. Immerhin, ich muß gestehen, daß ich so etwas bisher überhaupt nicht in Betracht gezogen habe.«
»Und ich muß zugeben«, sagte Susan, »daß ich keineswegs vorhatte, den Gedanken Ihnen gegenüber zu erwähnen. Aber jetzt bin ich froh, daß ich es getan habe. Darf ich noch mal auf das eigentliche Problem zurückkommen? Daß eine weitgestreute Schutzimpfung zu teuer wäre, sehe ich ein. Aber das Argument gilt nicht für die Durchforstung der Krankenblätter und die Familienbefragungen, so was kostet kaum etwas. Das könnte ich auch selbst übernehmen, nur brauchte ich dann etwas Hilfe von Ihnen.«
»Was für Hilfe?«
»Erstmal müßte ich
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