Koma
riesigen Raumes schickte. Dort mußte sie wieder eine Viertelstunde warten, obwohl sie die einzige Kundin weit und breit war. Fünf Schreibtische standen hinter dem Tresen, von denen drei besetzt waren: mit zwei Männern und einer Frau. Die beiden Männer sahen sich eigentümlich ähnlich, beide hatten große rote Nasen, trugen schwarze Plastikbrillen und schreiend geschmacklose Schlipse. Sie waren in ein erbittertes Streitgespräch über Baseball vertieft. Die Frau trug eine ondulierte Frisur mit eingefärbten grauen Strähnen im Stil der frühen sechziger Jahre und einen schockroten Lippenstift, der sich keineswegs an die natürlichen Grenzlinien ihrer Lippen hielt. Sie war mit einem Taschenspiegel beschäftigt und betrachtete hingebungsvoll ihr Gesicht aus allen erdenklichen Winkeln.
Nach einer halben Ewigkeit warf der kleinere der beiden Männer Susan einen Seitenblick zu und kam offenbar zu der Erkenntnis, daß der Störenfried nicht verschwand, obwohl man ihn so perfekt ignoriert hatte. Langsam schlurfte er an den Tresen, das Gesicht stumpf vor Desinteresse. Als er angekommen war, nahm er die Zigarette aus dem Mund, Asche fiel auf den Schlips. Er drückte den Stummel in einen Metallaschenbecher, der bereits überquoll.
»Was kann ich für Sie tun?« Der Mann sah Susan kurz an, drehte sich aber wieder um, bevor sie antworten konnte. »He, Harry, da fällt mir ein, was willst du mit der GRI 5 machen? Du weißt doch, die Anfrage war dringend und liegt jetzt schon zwei Monate in deinem Kasten.« Dann wandte er sich erneut Susan zu. »Also, was gibt’s, Schätzchen? Warten Sie mal, ich rate. Sie wollen sich über Ihren Hauswirt beschweren, was? Also, da sind Sie hier falsch.«
Wieder fiel ihm Wichtigeres ein. »Harry, wenn du Kaffee holst, bring mir zwei Kuchen mit, einmal Hausmacher, einmal Dänisch. Ich bezahl’s später. Also, Schätzchen …«
»Ich möchte mir einige Pläne ansehen, und zwar die Stockwerksgrundrisse vom Jefferson-Institut. Das ist ein ziemlich neues Krankenhaus in Süd-Boston.«
»Pläne, Pläne, was will jemand wie Sie mit Plänen? Wie alt sind Sie, Schätzchen, fünfzehn?«
»Ich bin Medizinstudentin und interessiere mich für Krankenhausplanung und die entsprechenden Bauskizzen.«
»Also, die Jugend von heute, sag’ ich immer! So, wie Sie gebaut sind, brauchten Sie sich für überhaupt nichts zu interessieren.« Er lachte dröhnend.
Susan schloß die Augen und unterdrückte einen Kommentar.
Der Bedienstete bewegte sich im Zeitlupentempo auf einen Stoß überdimensionaler Bände zu, der sich auf dem Tresen stapelte. »In welchem Bezirk liegt das?« erkundigte er sich, schon ziemlich erschöpft.
»Hab’ keine Ahnung.«
»Natürlich nicht.« Der Mann machte ein indigniertes Gesicht. »Also, wir müssen erst den Bezirk herausfinden, da hilft alles nichts.«
Ein kleineres Buch, das ebenfalls auf dem Tresen bereitlag, gab die notwendige Information.
»Bezirk siebzehn.« Der Mann fuhr sich über die Stirn. In kalkuliertem Schneckentempo bewegte er sich wieder auf die großen Bände zu. Aus der Seitentasche kramte er ein zerknittertes Zigarettenpäckchen und steckte eine Zigarette in den Mund, zündete sie aber nicht an. Nach mehreren Versuchen fand er das Buch für den Bezirk 17 und zog es heraus. Die anderen Bände wurden beiseite gestoßen. Als er das Buch aufschlug, befeuchtete er seinen rechten Zeigefinger. Nach heftigem Blättern fand er schließlich die Eintragung und notierte die Angaben auf einem Fetzen Papier. Dann winkte er Susan, ihm zu folgen, und führte sie an eine Wand, an der metallene kleine Aktenschränke standen.
»Harry!« Unterwegs hielt er die Zeit für gekommen, den Gedankenaustausch mit dem Kollegen fortzusetzen. Die kalte Zigarette hüpfte in seinem Mundwinkel auf und ab. »Ehe du runtergehst, ruf doch Grosser an und frag nach, ob Lester heute kommt. Wenn nicht, muß sich irgend jemand der Sache auf seinem Tisch annehmen; die Akte liegt da noch länger als deine GRI-5-Anfrage.«
Die richtige Schublade wurde gefunden und ein großes Paket Pläne zum Vorschein gebracht. »Da, bitte schön, Goldlöckchen. Und im nächsten Abschnitt, hinter dem Tresen, ist eine Kopiermaschine, wenn Sie Bedarf haben. Sie brauchen Fünfer dafür.« Er deutete mit der immer noch kalten Zigarette auf die Nachbarabteilung.
»Könnten Sie mir freundlicherweise zeigen, welches die Stockwerksgrundrisse sind?« Susan hatte die Pläne aus dem Ordner gezogen.
»Was? Sie interessieren
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