Komm, dunkle Nacht
Schlamm schaufelte, um Ruinen freizulegen. Er war wie besessen. Doch ihr war nicht entgangen, dass er von Tag zu Tag erschöpfter aussah, sein Gesicht hagerer, das Hinken immer stärker wurde.
Er hatte den Blick wieder abgewandt, stand vorn übergebeugt da und schaufelte Schlamm. Als Monty und sie an ihm vorübergingen, blickte er auf. »Boyd sagt, wir ziehen heute Abend hier ab«, sagte er. »Das Team hat in den letzten zwölf Stunden nicht einen einzigen Überlebenden gefunden.«
»Ist die Straße frei?«
»Das Militär hat eine Notbrücke gebaut. Während Sie da oben auf der Suche waren, ist hier eine Ladung Verpflegung und Decken eingetroffen. In ein paar Stunden erwarten wir einen Lastwagen mit Freiwilligen. Nicht, dass das viel nutzen wird.«
Seine Schaufel biss sich wütend in den Schlamm. »Es ist alles sinnlos. Ich kann mich noch so sehr bemühen, es ist sinnlos. Ich hasse diese Hoffnungslosigkeit. Warum finden wir niemanden mehr? Jesus, ich bin froh, wenn wir hier rauskommen.«
Sie ebenfalls. Diese Suche war noch schlimmer gewesen als die anderen. Es hörte immer nur kurz auf zu regnen, ein endloser Kreislauf, so dass sie die Hunde nur selten einsetzen konnten. Es hatte bereits zwei weitere Erdrutsche gegeben. »Ich muss noch mal hoch, ein letzter Versuch. Vielleicht ist doch noch jemand am Leben.«
»Ich will mich nicht mit Ihnen streiten.« Er sah sie nicht an.
»Aber ruhen Sie sich aus, wenigstens ein bisschen. Ich weiß, dass ich Sie nicht überreden kann, sich selbst zu schonen, aber Monty sieht so aus, als brauchte er eine Rast. Wie steht’s mit der Wunde?«
»Fast vollständig ausgeheilt. Glauben Sie, ich würde ihn arbeiten lassen, wenn es ihm nicht gut ginge?« Ohne eine Antwort abzuwarten, ging sie zu dem Zelt, das sie mit ihrem Rettungsteam teilte. Logan stand es nicht zu, ihr solche Ratschläge zu geben, während er selbst auf seinem kaputten Bein durch die Gegend humpelte.
Nur Hans Kniper lag schlafend auf seinem Feldbett, seinen Labrador neben sich, als sie das Zelt betrat. Sie gab Monty Wasser und fütterte ihn, ohne sich Mühe zu geben, leise zu sein.
Es war nicht zu befürchten, dass Kniper aufwachen würde. Sie arbeiteten so lange durch, dass sie in einen totenähnlichen Schlaf fielen, sobald sie sich hinlegten.
Sie wusch Monty den gröbsten Schlamm aus dem Fell, dann erst wusch sie sich das Gesicht. Alles andere war sinnlos, in wenigen Stunden würden Monty und sie abermals im Schlamm stehen. Sie legte sich neben Monty. Es regnete wieder. Sie hörte das Wasser auf das Zeltdach trommeln. Guter Gott, wenn es nur endlich aufhören würde!
»Sarah.«
Logan. Sie war sofort wach.
Logan kniete neben ihr. Er nickte der asiatischen Frau zu, die im Eingang des Zeltes stand. »Das ist Ming Na. Sie wollte, dass ich einen von Ihnen bitte, ihr Baby zu finden.«
Sarah wurde übel, als sie den verzweifelten Gesichtsausdruck der jungen Frau sah. »Haben Sie ihr klar gemacht, wie angestrengt wir suchen?«
»Sie sagt, wir suchen ihr Kind an der falschen Stelle. Es war zur Zeit des Unglücks nicht im Dorf. Sie gingen eben den Berg hinab, sie kamen von einem Besuch bei Ming Nas Großeltern.
Eine Sturzflut hat das Kind von ihrer Seite und bergab in den Bach gerissen, der neben dem Dorf herfließt.«
»Wie alt ist das Kind?«
»Zwei.«
»Seine Chancen, eine Sturzwelle zu überleben, sind praktisch gleich null.«
»Sie sagt, er hat es überlebt. Sie hat gesehen, wie er ans Ufer geworfen wurde und hinaufgekrochen ist. Sie wollte zu ihm laufen, aber dann kam der Erdrutsch und sie ist nicht mehr rübergekommen. Sie hat ihn weinen gehört.«
»Das ist jetzt vier Tage her«, flüsterte Sarah. »Selbst wenn er die Flut überlebt hat, wie soll er vier Tage allein überleben? Sie klammern sich an einen Strohhalm.«
»Ja, zum Teufel, ich will, dass dieses Kind noch lebt.«
Er presste die Lippen zusammen. »Ich will ein Wunder! Nach den vergangenen Tagen brauche ich ein Wunder.«
Es war ihm anzusehen. Auch sie brauchte ein Wunder. Man wusste nie, wann man noch einen Überlebenden fand, deshalb suchte man immer weiter. »Ich werde nachsehen.« Sie kniete neben Monty nieder und legte ihm das Halfter an. »Sagen Sie ihr, sie soll mich zu dem Ort bringen, wo sie das Kind weinen hörte.«
Logan wandte sich der Frau zu und sagte etwas auf Chinesisch. Sie nickte und antwortete. Er wandte sich wieder an Sarah. »Sie wird uns hinbringen.«
»Uns?«
»Ich komme mit«, sagte er mit fester Stimme.
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