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Komm, dunkle Nacht

Komm, dunkle Nacht

Titel: Komm, dunkle Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Johansen
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dem sie arbeitete. Bonnie hatte sich in eine Ecke der Couch gekuschelt. Das kleine Mädchen trug Jeans und ein T-Shirt wie stets, wenn sie Eve erschien, das rote Haar war wild gelockt und ihr Gesicht strahlend und voller Leben. Eves Herz machte vor Freude einen Sprung.
    Schnell blickte sie wieder auf den Schädel. »Ach hallo, ich habe mich schon gewundert, dass ich dich so lange nicht gesehen habe.« Sie machte sich daran, das Gesicht zu modellieren. »Ich meine, so lange nicht von dir geträumt habe.«
    Bonnie lachte. »Natürlich meinst du das. Du gibst nie auf, Mama. Aber eines Tages wirst du zugeben, dass ich das bin, was ich dir sage, dass ich es bin. Du bist schon auf dem Weg dahin.«
    »In die Klapsmühle? Nein, danke.«
    »Du weißt, dass du nicht verrückt bist. Wo sind Joe und Jane?«
    »Sie sind in die Stadt ins Kino gefahren. Jane wollte den neuen Film mit Matt Damon sehen. Ich hatte zu arbeiten, deshalb bin ich nicht mitgefahren.« Sie schwieg. »Aber ich muss schläfrig geworden sein und mich zu einem Nickerchen auf diese Couch gelegt haben. Sonst wärst du nicht hier.«
    Bonnie grinste. »Ist schon großartig, wie du an diesem Schädel weiterkommst, während du schläfst.«
    »Sei still, vorlaute Göre. Ist mir egal, was du sagst. Du bist kein Geist, nur eine Einbildung von mir. Ich habe dich geschaffen, und sobald ich dich nicht mehr brauche, wirst du verschwinden. Ich bin schon fast soweit. Du bist mir seit   Monaten nicht mehr erschienen.« Sie hielt den Blick auf den Schädel geheftet. »Ich dachte, dass du vielleicht fortgegangen wärst, nachdem Sarah deine Leiche aufgespürt hat und wir dich heimgeholt haben.«
    »Und hätte dich das glücklich gemacht?«
    »Ja, natürlich.« Sie schloss die Augen. »Nein, das war eine Lüge. Du hast mir gefehlt, Kleine.«
    »Du hast mir auch gefehlt.«
    Sie räusperte sich. »Warum bist du dann nicht gekommen?«
    »Du warst ganz durcheinander meinetwegen. Weißt du, eigentlich bist du doch eine kluge Frau, aber manchmal kannst du nicht klar denken. Da habe ich gedacht, ich bleibe eine Weile weg, bis zwischen Jane und dir alles klar ist.«
    »Wie diplomatisch von dir.«
    »Ich will, dass es dir gut geht, Mama. Ich wäre länger weggeblieben, aber ich habe mir Sorgen gemacht.« Sie schwieg einen Augenblick. »Es wird etwas geschehen.«
    »Das hast du schon mal gesagt.«
    »Weil es wahr ist. Was Schlimmes.«
    »Und das soll ich dir glauben?« Ihre Hand zitterte, als sie einen weiteren Streifen Modelliermasse anbrachte.
    »Joe? Jane?«
    »Ich glaube nicht. Vielleicht. Du weißt doch, dass ich nicht in die Zukunft sehen kann. Ich habe nur so Gefühle und Ahnungen.«
    »Du bist mir ein schöner Geist. Erst machst du mich nervös und dann erzählst du mir, dass du keine Einzelheiten weißt.«
    »Sarah …«
    »Was?«
    »Sarah ist von Dunkelheit umgeben. Tod. Soviel Tod.«
    »Sie ist gerade erst aus Barat zurückgekommen. Da sind viele   Menschen gestorben.«
    Bonnie schüttelte den Kopf. »Es wird etwas geschehen.«
    »Dann besuche sie in ihren Träumen.«
    »Mama.«
    »Was soll ich denn tun? Soll ich ihr erzählen, dass meine Tochter, die wir gerade begraben haben, sich Sorgen um sie macht?«
    Bonnie knabberte an ihrer Unterlippe. »Es ist nicht nur sie.
    Etwas von der Finsternis, die sie umgibt, muss auch dich berühren, sonst könnte ich sie gar nicht spüren.« Sie legte den Kopf schief und lauschte. »Ich muss jetzt gehen, ich höre Joes Wagen.«
    »Ich nicht.« Eve wischte sich an einem Handtuch die Hände ab und trat ans Fenster. Eben bog Joes Wagen in der Ferne um die Kurve. »Wie machst du das bloß?«
    »Gewisse Vorteile genießt man als Geist eben doch. Ich liebe dich, Mama.«
    »Und ich liebe dich, Kleines.« Sie wandte den Kopf.
    »Aber du kannst sehr …« Die Couch war leer. Da war kein kleines Mädchen in Jeans mehr, kein strahlendes, schelmisches Gesicht. Keine Bonnie.

    Sie schloss die Augen, von Enttäuschung überwältigt. Träume von Bonnie versetzten sie meist in eine friedliche Stimmung, doch dieser Traum hinterließ eine quälende Unruhe. Warum?
    Es wird etwas geschehen.
    Dunkelheit.
    Sie hatte geglaubt, die Dunkelheit hinter sich gebracht zu haben. Diese letzten Monate mit Joe waren voller Freude und Licht gewesen. Die einzige Wolke war Janes Verhalten gewesen und Eve hatte die Gewissheit gehabt, dass sich dies mit der Zeit  zum Besseren wandeln würde. Wenn tatsächlich eine Bedrohung bestand, würde das Schicksal doch sicherlich nicht

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