Komm mit mir, liebes Hausgespenst
achtzehnten Jahrhundert verunglückte Junge, muß im Haus am Seerosenteich gelebt haben. Dort und nur dort kennt der Kobold Amadeus sich aus. Da ist es ihm auch gelungen, sich mit den Errungenschaften der Neuzeit vertraut zu machen: Telefon, Radio, Fernsehen, Auto... aber das alles langsam, ganz langsam. So plötzlich in eine andere Umwelt versetzt zu werden, muß ihm einen Schock verpaßt haben.“
„Vielleicht“, sagte Norbert, „sind die Gespenster auch gar nicht an einen bestimmten Ort gebannt, wie wir immer meinen. Vielleicht wollen sie selber an eben jenem Ort bleiben, weil sie sich da auskennen.“
„Und wer hat dann unser Auto festgehalten und dann fortgeschleudert?“ fragte Monika.
„Vielleicht könnte es Amadeus selbst gewesen sein.“
„Aber er war im Korb.“
„Vielleicht war sein innerer Kampf so stark... der Wunsch zu bleiben und gleichzeitig fort zu wollen...“
„Ich weiß es nicht“, unterbrach Monika den Freund, „und du auch nicht. Wir werden es niemals wissen. Das sind doch alles nur Spekulationen.“
„Aber eine Frage müssen wir doch unbedingt klären...“ Ingrid unterbrach sich wieder, weil eine der Stewardessen kam, um die Tabletts abzuräumen.
Norbert reichte seines vom Fenster her an, und die Stewardeß kippte eines nach dem anderen, mit oder ohne Inhalt, in einen fahrbaren Kübel. Sie klappten die Tischchen wieder hoch und streckten die Beine aus.
Ingrid wartete, bis die Stewardeß zwei Reihen weitergegangen war, und vollendete dann flüsternd ihre Frage: „Was willst du mit ihm tun?“
„Ihn bei mir behalten, natürlich.“
„Willst du ihn immer in dem Korb lassen?“
Monika zögerte einen Augenblick mit der Antwort. „Nein, ich glaube nicht. Ich glaube nicht, daß ich ihm das antun kann.“
„Aber wenn du ihn rausläßt, wird er Unsinn machen.“
„Ich werde eben vorher ein ernstes Wörtchen mit ihm sprechen. Ich wette, es wird nur halb so schlimm werden.“
In der Kabine wurde es still, als eine neue Ansage über den Lautsprecher kam. „Meine Damen und Herren, wir haben das kanadische Staatsgebiet verlassen und fliegen jetzt auf New York zu... Gleich werden Sie linker Hand Coney Island sehen...“
Viele Passagiere standen auf und drängten zu den linken Fenstern. Monika, Ingrid und Norbert blieben sitzen, weil sie den schlafenden Herrn Stein nicht stören wollten.
„...und jetzt überfliegen wir den Hafen von New York“, verkündete einer der Piloten weiter, „rechts unten können Sie die Freiheitsstatue sehen...“
„Die Freiheitsstatue?“ schrie Monika und quetschte sich an Ingrid und Norbert vorbei zum Fenster.
Sie entdeckte sie wirklich, die berühmte Freiheitsstatue mit der Fackel in der hocherhobenen Hand, aber wie anders erschien sie, als sie sie auf Filmen und Abbildungen gesehen hatte. Dort war sie riesig erschienen, und riesig mußte sie wohl auch in Wahrheit sein, da man in ihren Kopf hochfahren konnte. Aus dem Flugzeug herab aber wirkte sie winzig und verloren auf ihrer kleinen Insel, dazu noch perspektivisch verkürzt, da sie direkt über sie hinwegflogen.
„Wie süß!“ rief Monika.
„Na, erlaube mal!“ protestierte Norbert. „Du kannst die Freiheitsstatue doch nicht als süß bezeichnen.“
„Doch. Von hier oben sah sie so aus.“ Monika quetschte sich auf ihren Platz zurück.
„Ich werd sie dir aus Zuckerguß schenken.“
„Gar keine schlechte Idee. Für gute Gaben bin ich immer empfänglich.“
Sie waren jetzt schon sieben Stunden unterwegs, und eine allgemeine Unruhe begann sich auszubreiten. Die Passagiere standen auf, gingen hin und her und zu den Toiletten.
Monika hielt eine der vorbeikommenden Stewardessen am Ärmel fest und fragte: „Wie lange dauert’s noch?“
„Drei Stunden. Wir werden um vierzehn Uhr dreißig in Nassau landen.“
„Um vierzehn Uhr dreißig!? Aber das ist doch unmöglich! Jetzt haben wir doch schon siebzehn Uhr dreißig!“
„Die Uhrzeiten sind auf der ganzen Welt verschieden. Wenn es in Frankfurt achtzehn Uhr ist, dann ist es in Nassau erst zwölf Uhr.“
„Dann haben wir also sechs Stunden gewonnen?“
Die Stewardeß lächelte. „Habt ihr. Auf dem Rückflug verliert ihr sie wieder.“
„Komisch, wirklich komisch.“ Monika stellte ihre Armbanduhr zurück. „Ich muß schon sagen... es gibt noch seltsamere Dinge auf dieser Welt als Gespenster!“
„Das kommt einfach daher“, erklärte Ingrid, die als Lehrerstochter immer ein bißchen gescheiter war als die anderen,
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