Komm mit mir nach Caracas
dachte ich, du tust nur so. Sonst warst du immer so geradlinig und offen ..."
„Ich täusche niemals etwas vor, was ich nicht bin", protestierte sie. „Für meine Erziehung kann ich genauso wenig wie du für deine."
„Was soll das denn heißen?"
Sein warnender Unterton ließ sie erschauern. „Mein Vater und meine Patentante waren der Ansicht, dass Mädchen ruhig, bescheiden und prüde sein müssen ..."
„Ruhig?" warf Raul amüsiert ein.
Am liebsten wäre Polly aus der Wanne gesprungen, als er hineinkam. Sie schlang die Arme um die Knie und bedachte ihn mit einem vorwurfsvollen Blick, als er am anderen Ende ins Wasser glitt und den Kopf gegen das Polster lehnte.
„Warum können wir es nicht im Bett machen wie andere Leute auch?" fragte sie unvermittelt. „Du gibst dir anscheinend die größte Mühe, es mir noch schwerer zu machen."
Er warf den Kopf zurück und lachte schallend. „Caramba, cielito ..."
„Das ... Mir reicht es jetzt!" Ihr Kummer wich einem unbändigen Zorn, und sie stand auf. In diesem Moment war es ihr auch egal, ob Raul sie nackt sah oder nicht.
Er beugte sich vor und nahm ihre Hand. Dadurch verlor sie das Gleichgewicht, und er zog sie zu sich herunter. Das Wasser spritzte hoch auf.
Verzweifelt rang sie nach Atem und versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien.
„Lass mich los!"
Raul betrachtete sie ungerührt. „Ich hatte nicht vor, die Ehe hier zu vollziehen ...
Ich wollte nur mit dir reden."
„R... reden?" wiederholte sie matt, während sie wieder ans andere Ende der Wanne rutschte und unter Wasser glitt, sorgsam darauf bedacht, seine ausgestreckten Beine nicht zu berühren.
„Es besteht kein Grund, in Panik zu geraten - zumindest noch nicht", meinte er betont langsam, und sie errötete noch tiefer. „Ich dachte, es wäre ein vergleichsweise harmloser Schritt auf dem Weg zu noch mehr Intimität."
„Pflegst du mit deinen Freundinnen sonst auch in der Badewanne zu sitzen und nur zu reden?" ereiferte sie sich, weil sie genau wusste, dass er sich über ihre Nervosität amüsierte.
In seine Augen trat ein eisiger Ausdruck. „Infierno! Eifersucht ist etwas sehr Zerstörerisches. Willst du uns zerstören, bevor wir überhaupt mit diesen ständigen Angriffen beginnen?"
Polly war blass geworden und schloss die Augen. Dabei sah sie in Gedanken innerhalb weniger Sekunden die Gesichter von einem Dutzend schöner Frauen vor sich auftauchen. Erst dann wurde ihr klar, wann ihre Eifersucht entstanden war. Um mehr über den Vater ihres Kindes zu erfahren, war sie in die Bibliothek gegangen und hatte in den Klatschseiten der Zeitungen und in Gesellschaftsmagazinen geblättert...
Immer wieder war sie auf Fotos gestoßen, die Raul mit irgendeiner tollen Blondine im Arm zeigten. Und an dem Tag war ihr bewusst geworden, wie hoffnungslos ihre Liebe war.
Monate später hatte sich ihr Eindruck, dass Raul ein herzloser Frauenheld war, dann bestätigt. Er hatte die Klinik in London verlassen und war geradewegs in die Arme einer anderen Frau gelaufen. Auch das Missverständnis mit Irena war ihr furchtbar peinlich gewesen, und noch am selben Tag war ihr Melina D'Agnolo begegnet. War es also verwunderlich, dass sie, Polly, Angst davor hatte, Raul zu vertrauen, und daher in die Defensive ging, um nicht von ihm verletzt zu werden?
„So möchte ich mit keiner Frau zusammenleben", erklärte er erschreckend leise.
„Es ist, als würde man gegen einen unsichtbaren Feind kämpfen ... Du wirst immer misstrauisch sein, egal, was ich tue."
Als er aufstand, öffnete sie die Augen. Er stieg aus der Wanne, nahm ein Handtuch von der Stange und ging ins Schlafzimmer, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Und genauso plötzlich verflog ihr Zorn. Sie hatte eine einmalige Chance vertan, weil sie sich nicht mit ihren Unsicherheiten und Fehlern auseinander setzen wollte.
Raul hatte in Vermont nicht mit ihr geschlafen. Sie war diejenige gewesen, die seine Beweggründe falsch interpretiert hatte. Sie hatte keinerlei Ansprüche auf ihn gehabt. Davor hatte sie all die Monate die Augen verschlossen, weil sie sich verliebt hatte. Und obwohl er ihr keinen Grund gegeben hatte, ihm zu misstrauen, vergraulte sie ihn nun.
Panik stieg in ihr auf. Polly stieg aus der Wanne, nahm einen schwarzen Bademantel vom Haken und schlüpfte schnell hinein. Er war ihr viel zu groß.
„Raul ... Es tut mir Leid!" rief sie, aus Angst, dass er das Schlafzimmer womöglich schon verlassen hatte.
„Vergiss es ... Ich brauche etwas
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