Komm stirb mit mir: Thriller (German Edition)
eigentlich eine Aneinanderreihung freundlicher kleiner Dörfer sei. Tartaglia, der sein ganzes Leben in Edinburgh verbracht hatte, hatte das beim besten Willen nicht so sehen können. Hendon, wo er als Polizeianwärter seine Ausbildung gemacht hatte, oder die Gegend um die Oxford Street, wo er seine erste Streife gefahren war, hatten nichts Dörfliches an sich. London war für ihn ein riesiges, graues, dreckiges und übellauniges Ungeheuer gewesen, und er hatte sich gefragt, ob es ein Fehler gewesen war, seine Heimatstadt zu verlassen. Erst nach und nach, als er die Stadt besser kennengelernt hatte, war ihm bewusst geworden, dass die meisten Viertel tatsächlich eine eigene Persönlichkeit und die Bewohner ein Gemeinschaftsgefühl hatten, das das Leben erträglicher machte. Nirgendwo galt das mehr als in Barnes mit seinen Postkartenansichten und dem bäuerlichen Flair, sodass man sich fast wie auf dem Land fühlte, auch wenn man nur wenige Meilen vom Stadtzentrum entfernt war.
Er überquerte den Dorfanger mit dem Teich, der im Nebel verborgen lag. Irgendwo in Ufernähe quakten ein paar Enten. Er folgte dem Fußweg um den Teich herum zu der schmalen, hell erleuchteten High Street, die sich, ungewöhnlich für London, eine altmodische Atmosphäre bewahrt hatte, frei von den Filialen irgendwelcher Ladenketten. Stattdessen gab es eine erstaunliche Palette an kleinen Geschäften, teuren Boutiquen und Restaurants und Myriaden von Immobilienmaklern, die der Tatsache Rechnung trugen, dass Barnes eine beliebte, wenn auch teure Wohngegend war. Von der Londoner Innenstadt durch die Themse getrennt, war Barnes eine Welt für sich. Wenn die wohlhabenden Einwohner, zu denen viele bekannte Gesichter aus Fernsehen und Theater zählten, etwas so Banales wie ein Paar Socken oder Unterwäsche brauchten, mussten sie die Reise über die Hammersmith Bridge in den Smog antreten.
Je näher er dem Fluss kam, umso dichter wurde der Nebel, und er konnte kaum noch den Asphalt vor seinen Füßen sehen. Das Bull’s Head lag, in einen weißen Schleier gehüllt, am Ende der High Street direkt an der Uferstraße, Tür an Tür mit dem alten Gebäude der ehemaligen Polizeiwache Barnes, das mittlerweile in eine Luxusresidenz umgewidmet worden war.
Als er den großen Barraum betrat, schlug ihm wie immer laute Musik aus dem Hinterzimmer entgegen. Der Laden war für seine täglichen Livejazz-Sessions berühmt, und gelegentlich traten sogar Musiker auf, von denen selbst er schon gehört hatte, Humphrey Lyttelton und George Melly zum Beispiel. Jazz, in welcher Spielart und Form auch immer, war nicht seine Sache, und oft war die Musik so laut, dass man sich kaum unterhalten konnte. Aber heute waren die Klänge, die aus dem Hinterzimmer drangen, halbwegs erträglich, ein Mann mit einer Stimme wie John Lee Hooker sang, begleitet von einer Gitarre, einen Blues. Es gab schlechtere Orte zum Trinken, nicht zuletzt die Saufpinten in Hendon.
Er orderte ein Pint Youngs Special für sich und ein halbes Bitter für Donovan, die es meist weniger stark bevorzugte. Offiziell waren sie vermutlich noch im Dienst, aber das war ihm egal. Es war ein langer Tag gewesen, und ihm schwante, dass er noch längst nicht vorüber war. Eigentlich hatte er mit seinem Cousin Gianni bei Bier und Pizza vorm Fernseher sitzen und Der Untergang auf DVD gucken wollen, aber dazu würde es jetzt nicht mehr kommen, und auch vom Wochenende konnte er sich schon mal getrost verabschieden. Er bestellte zwei große Portionen Lasagne mit Salat und ließ sich an einem Fenstertisch in der hinteren Ecke nieder. Er hatte gerade den ersten Schluck Bier genommen, als Donovan mit gerötetem Gesicht und außer Atem durch die Tür kam, das Haar feucht von der Luft draußen. Sie ließ ihre Tasche schwungvoll auf den Boden fallen und schälte sich aus etlichen Lagen Kleidung, bis sie in schwarzen Baggy-Hosen mit Hosenträgern und rotschwarz gestreiftem T-Shirt dastand, das ihn witzigerweise an Dennis the Menace erinnerte. Es gefiel ihm, wie sie sich anzog, es passte zu ihr, auch wenn sie eigentlich nie sonderlich weiblich aussah. Meistens konnte sie auch als gut aussehender Junge durchgehen.
Sie rubbelte sich mit dem Schal die kurzen Haare trocken, sodass sie büschelweise zu Berge standen, und ließ sich auf den Stuhl ihm gegenüber fallen. »So geht’s. Prost«, sagte sie, nahm einen Schluck Bitter und fuhr sich mit dem Handrücken über die Oberlippe. »Gott, das war höchste Zeit.«
»Die beiden
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