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Komm, suesser Tod

Komm, suesser Tod

Titel: Komm, suesser Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
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worden sind, hat der Hansi Munz den Erhängten heruntergeschnitten und neben den Hinterbliebenen zum Brenner gesagt: "Hanf-Allergie."
    Überhaupt ist dem Brenner vorgekommen, daß der Hansi Munz dem Bimbo jeden Tag ähnlicher wird, als wäre der Geist vom Bimbo in den Hansi Munz - quasi Spenderseele.
    Am nächsten Tag war der Brenner wieder mit einem Achttausender unterwegs, dann zwei Tage mit dem Czerny, dann wieder mit dem Hansi Munz, und an dem Tag, wo er bemerkt hat, daß sein grünes Aug langsam gelb wird, mit dem Nechvatal, der die ganze Zeit nur Zillertaler-Schürzenjäger-Kassetten gehört hat. Dann zwei Tage mit einem Achttausender, und dann haben seine Tage und seine Kollegen und sein Bluterguß langsam zu verschwimmen angefangen.
    Und das ist ein eigenartiger Effekt bei den meisten Menschen, da ist der Brenner keine Ausnahme gewesen. Du fürchtest nichts mehr, als daß dein Leben nur noch aus Arbeit besteht, daß du nur noch wie ein Hamster im Rad dahinläufst. Aber wenn du dann wirklich einmal so eingeteilt wirst und wenn du keine Chance hast, daß du aus dem Rad herauskommst, muß sich irgendwas im Hirn umstellen. Das muß so ähnlich sein wie bei den Marathonläufern, die diese gewisse Substanz absondern, daß ihnen das Laufen auf einmal ganz leichtfällt.
    Irgendwie hat es der Brenner genossen, daß er vor Arbeit gar nicht mehr zum Denken gekommen ist. So wie es ja auch die Marathonläufer oder, sagen wir, die Manager genießen, daß sie nicht zum Denken kommen, sondern immer nur fest die Substanz absondern.
    Der Brenner ist gefahren und gefahren und gefahren. Jeden Tag zweihundert bis dreihundert Kilometer im Stadtverkehr.
    Und wenn eine Tour im Durchschnitt sieben oder acht Kilometer hat, dann sind das, warte einmal, oder sagen wir der Einfachheit lieber, sie hat zehn Kilometer. Dann sind das zwanzig bis dreißig Touren an einem Tag! Zwanzig- bis dreißigmal am Tag einen Kranken auf die Bahre legen, ihm gut zureden, ihn ein bißchen von seinem Leiden ablenken.
    Weil bei zwanzig bis dreißig Touren ist ja höchstens jede zehnte eine einsatzmäßige Tour. Höchstens zwei-, dreimal, daß man sagen muß: Wenn ich jetzt gegen die Vorschrift bei Rot über die Kreuzung fahre, dann überlebt der Verletzte vielleicht und dann haben die drei Kinder weiterhin einen Vater, und sie dürfen in die Schule gehen und studieren, und der Bub wird Sportlehrer und das Mädchen Steuerberaterin, und die Jüngste ganz gewaltig intelligent, Matura mit Auszeichnung, Studium in Rekordzeit und dann Chefärztin in Mexiko.
    Aber nur, wenn ich bei Rot hinüberpresse. Nur wenn ich fast den Fußgänger da streife. Aber wenn ich warte, bis das letzte bißchen Rot aus der Ampel hinausgeronnen ist, dann verblutet er mir womöglich und dann natürlich finanzielle Probleme für die Familie. Und dann natürlich nichts Studium. Und natürlich nichts Chefärztin in Mexiko, sondern Chefkellnerin am Mexikoplatz.
    Aber solche Entscheidungen Ausnahme. Und sonst: ein bißchen kümmern, ein bißchen gut zureden. Und meistens nicht einmal das. Meistens einfach den alten Leuten zuhören.
    Zumindest tun, als würde man ihnen zuhören. Weil sie wollen gar nicht, daß sie jemand tröstet. Sie wollen nur zum hunderttausendstenmal dieselbe alte Leier herunterbeten.
    Und so gesehen ist Rettungsfahrer schon ein interessanter Beruf, weil du lernst etwas über den Menschen. Du hörst dir die Leier von den alten Leuten an, und sie erzählen dir hundertmal jedes Detail ihrer höchstpersönlichen Kränkung. Als wäre das Leben dazu da, daß es sich für jeden eine eigene Kränkung ausdenkt. Weil sie wissen nicht, was du als Rettungsfahrer schon nach ein paar Wochen weißt: daß es bei jedem haargenau dieselbe Leier ist.
    Aber die Leier von den Patienten hältst du noch leicht aus gegen die Leier von den eigenen Kollegen. Weil Kollegenleier immer unerträglich. Sprich Bausparvertrag. Sprich Nachhilfestunden für das dumme Kind. Sprich eheliche Angelegenheiten.
    Oft hat es der Brenner gar nicht fassen können. Bis in die letzte Einzelheit wird dir haarklein die eheliche Intimdings aufgetischt. Es hat ihn aber jeden Tag weniger gestört.
    Besonders so ab dem elften, zwölften Tag hat er es gar nicht mehr richtig registriert. Da hat die Marathonsubstanz die Kollegenleier schon vollkommen neutralisiert.
    Aber zuviel Substanz kann auch gefährlich werden. Weil der Brenner ist ein bißchen kindisch geworden und hat angefangen, die Stimmen, die den ganzen Tag aus dem

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