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Komm, suesser Tod

Komm, suesser Tod

Titel: Komm, suesser Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
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hineingefahren? Wo um vier Uhr früh sofort alle Freiwilligen erschrocken in den Hof hinausgestürmt sind. Weil die triumphierenden Rettungsbündler gerade den benommenen Kreuzretter in seiner zerfetzten Uniform ausgeladen haben.
    Jetzt ist es dem Brenner wieder eingefallen. Und zum erstenmal in seinem Leben ist er froh um die Migräne gewesen, weil sie doch einen gewissen Schleier über das Leben zieht.
    In diesem Zustand ist dir ja alles andere mehr oder weniger egal. Es ist dir nicht egal, wenn jemand neben dir pfeift, oder wenn jemand neben dir mit seiner unangenehmen Stimme redet, oder wenn jemand in deiner Nähe atmet, oder wenn jemand so mit den Augenlidern klimpert, daß es dir fast das Trommelfell zerreißt. Aber es ist dir ziemlich egal, ob du dich zu Tode blamiert hast oder ob du strafweise zu dreieinhalb Wochen durchgehend Dienst eingeteilt worden bist.
    Zwei Minuten später ist der Brenner schon im Laufschritt in Richtung Auto unterwegs gewesen. Ein Herzinfarkt. Mit Sirene und Blaulicht zu fahren. Kaum daß der Brenner außer Hörweite von der Zentrale war, hat er die Sirene abgeschaltet. Aber seine beiden Köpfe haben an dem Tatütata so eine Freude gehabt, daß sie es ihm einfach weiter vorgesummt haben.
    Sein einziges Glück war, daß heute der stille Achttausender sein Beifahrer war. Weil mit dem Geplapper eines Czerny oder eines Hansi Munz hätte er den Tag bestimmt nicht überlebt.
    Und der Patient, der ihnen diese Fahrt in den neunten Bezirk eingebrockt hat, hat auch nichts geredet. Der hat in der Porzellangasse ein hübsches Antiquitätengeschäft gehabt. Aber heute selber Alterungsspuren. Weil er ist am hellichten Tag mitten in seinem eigenen Antiquitätengeschäft umgefallen.
    Er ist kreidebleich auf dem grauen Plastikboden gelegen und hat den Brenner stumm und voll Todesangst angestarrt. Und unglaubliches Glück für den Brenner: Die junge Verkäuferin hat vor Schreck auch kein Wort herausgebracht. Aber immerhin hat sie schon einen Zettel an die Tür gehängt: "Wegen Krankheit vorübergehend geschlossen."
    Und siehst du, kaum daß man nicht aufpaßt, verschwenden die Angestellten schon Papier! Weil wenn sie noch zehn Minuten gewartet hätte, hätte sie gleich schreiben können: "Wegen Todesfall geschlossen."
    Der Brenner und der stille Achttausender haben zwar noch versucht, ihn wiederzubeleben. Aber aussichtslos. Nicht, daß du jetzt glaubst, das war dem Brenner seine Schuld. Die Herzmassage ist zwar verdammt anstrengend, auch wenn du fit bist. Da rinnt dir der Schweiß in Bächen herunter, wenn du das minutenlang machst. Aber ausgerechnet heute hat es dem Brenner sogar gutgetan.
    Weil da mußt du dich so mit durchgestreckten Armen über den Sterbenden knien, und dann die rhythmischen Bewegungen.
    Das ist heute für den Brenner in gewissem Sinn sogar eine umgekehrte Massage gewesen. Daß praktisch der Brustkorb des Sterbenden die Brenner-Arme so schön rhythmisch zurückgedrückt hat, daß es sich massageartig auf seine versteinerten Nackenmuskeln übertragen hat. Also nicht, daß du jetzt glaubst, davon wäre sein Kopfweh weggegangen, aber momentan eine gewisse Linderung. Vielleicht ein bißchen wie die Übungen von der Nicole.
    Daß der Mann dann gestorben ist, hat so richtig zu diesem Tag gepaßt. Weil so oft stirbt dir auch als Rettungsfahrer nicht jemand. Da überwiegen doch die Fahrten, wo nichts Dramatisches passiert. Einen Beinbruch in die Unfallstation. Ein scharlachkrankes Kind in die Isolierstation. Einen Parkinson zur Physiotherapie. Einen Krebs zur Bestrahlung.
    Ich will nicht zuviel aufzählen, ich weiß nicht, ob du das kennst, aber wenn ich zuviel von Krankheiten rede, dann spüre ich es schon regelrecht, wie mich die Organe jucken. Aber der Brenner hat sich in diesen Wochen, wo ihm der fette Buttinger einen Strafplan ohne freien Tag verpaßt hat, natürlich ziemlich viel anschauen müssen.
    Am zweiten Tag war er mit dem Werkstättenchef unterwegs.
    Der hat provisorisch für den Lanz einspringen müssen, obwohl er selber in der Werkstatt genug zu tun gehabt hätte.
    "Wenn ich das Loch bei den Fahrern stopfe, haben wir dafür zu wenige Autos", hat er gemurrt. "Wir sind einfach viel zu wenige Leute." Weil der 590er mit dem kaputten Auspuff, wo vor ein paar Wochen fast ein Patient erstickt wäre, immer noch nicht repariert.
    Am Tag darauf, wie sein blaues Aug langsam grün geworden ist, war der Brenner mit dem Hansi Munz zusammengespannt, und wie sie zu einem Selbstmord gerufen

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