Komm und küss mich!: Roman (German Edition)
aus den kühlen blauen Augen traf, ging eine seltsame Wandlung in ihr vor. Plötzlich kam sie sich vor wie eine völlig ausgehungerte Frau, der man ein verführerisches Dessert unter die Nase hält. Dieser Anflug von Schwäche war ihr äußerst peinlich, sie runzelte die Stirn.
»Du bist verdammt hübsch«, sagte Dallie leise.
»Nicht halb so hübsch wie du«, kam ihre Retourkutsche. Sie setzte alles daran, die seltsame Atmosphäre zwischen ihnen zu durchbrechen. »Wo sind wir? Wem gehört das Haus?«
»Mir.«
»Dir? Wynette liegt doch nicht mehr als dreißig Kilometer von hier. Warum mußt du denn zwei Häuser in der gleichen Gegend haben?«
»Nach dem, was du eben erlebt hast, überrascht mich diese Frage.«
Sie stieg aus und betrachtete nachdenklich die Veranda des Hauses. »Ist dies hier ein Versteck?«
»Ja, das kann man sagen. Und ich wäre dir sehr verbunden, wenn du niemandem sagst, daß ich dich hierher mitgenommen habe. Alle wissen, daß ich dieses Haus habe, aber bis jetzt hat man mich hier in Ruhe gelassen. Wenn sich aber rumspricht, daß du hier warst, gilt die Jagd als eröffnet. Dann stehen sie hier Schlange mit Schlafsack, Strickzeug und Kühltaschen voll Limonadeflaschen.«
Sie ging auf das Haus zu, voller Neugier, wie es wohl drinnen aussah, aber er hielt sie zurück. »Francie? Das Haus hier gehört mir, und ich will nicht, daß wir uns darin streiten.«
So ernst hatte sie ihn noch nie gesehen. »Und warum glaubst du, daß ich mich mit dir streiten will?« fragte sie.
»Ich vermute mal, das ist so deine Natur.«
»Meine Natur! Du kidnappst meinen Sohn, dann mich, und dann behauptest du, ich bin auf Streit aus. Hast du vielleicht Nerven!«
»Ich bin eben Pessimist.« Er setzte sich auf die oberste Treppenstufe.
Francesca bibberte vor Kälte. Er hatte sie ohne Jacke weggeschleppt, jetzt spürte sie, wie tief die Temperatur gefallen war. »Was soll das? Warum hast du dich hingesetzt?«
»Wenn wir uns schon kabbeln müssen, dann lieber hier draußen. Im Haus ist äußerste Höflichkeit angesagt. Ich mein’s ernst, Francie. Das Haus ist ein Zufluchtsort für mich, den du mir nicht verderben darfst.«
»Das ist doch lachhaft.« Jetzt klapperte sie auch noch mit den Zähnen. »Wir müssen uns auseinandersetzen, da ergibt nun mal ein Wort das andere.«
Er klopfte mit der flachen Hand auf die Stelle neben sich. »Ich friere«, protestierte sie, ließ sich aber trotzdem neben ihm nieder. Insgeheim freute sie sich über das Haus, in dem keine Meinungsverschiedenheiten zulässig waren. Wie würden
sich zwischenmenschliche Beziehungen entwickeln, wenn es mehr Häuser von der Sorte gäbe? Nur Dallie konnte sich so was Interessantes ausdenken. Ganz verstohlen rückte sie näher an ihn heran. Er strahlte so viel Wärme aus. Und sie hatte vergessen, wie gut er roch – nach Seife und frischen Kleidern. »Warum setzen wir uns nicht ins Auto?« schlug sie vor. »Du hast doch auch nur ein Flanellhemd an. Dir ist bestimmt auch kalt.«
»Hier draußen werden wir schneller fertig.« Er räusperte sich. »Zuerst muß ich mich entschuldigen für die blöde Bemerkung, daß dir deine Karriere wichtiger ist als Teddy. Ich bin ja nicht vollkommen – zugegeben, das war ein Schlag unter die Gürtellinie, und ich schäme mich dafür.«
»Machst du dir überhaupt eine Vorstellung davon, was für eine Wirkung so etwas auf eine berufstätige Mutter hat?«
»Ich habe nicht nachgedacht«, murmelte er. Dann fügte er zu seiner Verteidigung hinzu: »Mensch, Francie, warum mußt du denn immer gleich ausflippen, wenn ich mal das falsche Wort in den Mund nehme? Du bist einfach zu emotional.«
Das war mal wieder typisch Mann! Wieso bildeten sich Männer eigentlich ein, sie könnten einer Frau die schlimmsten, schmerzlichsten Dinge an den Kopf werfen, ohne daß die Frau darauf reagieren würde? Sie verkniff sich ungefähr ein Dutzend bissiger Kommentare, nur um schneller ins Haus zu gelangen. »Teddy tanzt nur nach seiner eigenen Pfeife«, erklärte sie ihm. »Er ist weder wie du noch wie ich. Er ist voll und ganz er selbst.«
»Das sehe ich. Irgendwie ist er kein normales Kind.« Tausend Zweifel an ihrer Eignung als Mutter schossen ihr durch den Kopf. Teddy war unsportlich, Dallie mochte ihn nicht. »Und was sollte er deiner Meinung nach tun?« fragte sie wütend. »Frauen zusammenschlagen?«
»Wie sollen wir uns bloß einig werden?« fragte er ganz ruhig. »Wir kämpfen jedesmal wie Hund und Katze, wenn
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