Komm zu mir, Schwester!
können? Was hatte das alles zu bedeuten?
Natürlich hatte ich Helen da schon die ganze Geschichte erzählt, nicht nur die Sache mit Gordon und Natalie.
»Ich hatte solche Angst, dass ich vielleicht verrückt werden würde«, gestand ich zum ersten Mal ein. »Die Träume â und ich hab mir immer eingeredet, dass es Träume waren â hatten angefangen, mein Leben zu bestimmen.«
»Du bist nicht verrückt«, sagte Helen energisch. »Und dieses Mädchen, das du Lia nennst, ist kein Traum. Hast du sie eigentlich je richtig gesehen?«
»Nein, nicht so genau jedenfalls. Als Schatten vielleicht. Als Spiegelbild. Nicht wie einen echten Menschen.«
»Ich hab sie deutlich gesehen«, sagte Helen. »Entweder bin ich besser auf so etwas eingestimmt als du oder sie wird stärker. Sollte das der Fall sein, wird sie überall erscheinen können, sogar am helllichten Tag.«
»Wie meinst du das?«, fragte ich nervös. »Du redest doch wohl nicht von dieser Sache mit den Astralreisen? Ich hab dir doch schon gesagt, dass ich so was nicht kann.«
»Aber Lia kann es«, sagte Helen. »Es gibt eine Lia, Laurie. Du hast sie dir nicht einfach ausgedacht. Wenn sie ein Produkt deiner Fantasie wäre, hätte ich sie nicht auch sehen können. Irgendwo auf der Welt existiert dieses Mädchen, das genauso aussieht wie du, und sie hat gelernt, wie man Astralreisen macht.«
»Es kann doch unmöglich einen Menschen geben, der haargenau so aussieht wie ich«, wendete ich ein.
»Ein eineiiger Zwilling schon.«
»Das ist doch lächerlich«, sagte ich. »Ich hab keinen Zwilling.«
Helen musterte mich nachdenklich. »Bist du dir sicher?«
»So was Albernes hab ich ja noch nie gehört«, sagte ich heftig, »natürlich bin ich mir sicher.«
»Fällt dir was Besseres ein?«
»Nein, aber so ungefähr jede andere Erklärung wäre logischer.«
Ich hätte alles dafür gegeben, mit Gordon über dieses Thema reden zu können, aber meinen einzigen Versuch, das zu tun, erstickte er im Keim.
»Als Helen bei mir übernachtet hat â¦Â«, hatte ich angefangen.
»Ich will nicht über Helen reden«, hatte Gordon mich unterbrochen. »Du kümmerst dich derart um diese Irre, dass die Leute schon anfangen zu reden. Mary Beth sagt, du isst nicht mal mehr mit den Leuten von der Insel an einem Tisch. Du verziehst dich mit Helen in eine Ecke.«
»Und was nervt dich daran?«
»Hab ich doch eben gesagt ⦠dass die Leute reden. Du hast nette Freunde, und du tust so, als wolltest du nichts mit ihnen zu tun haben. Das ist doch ein Schlag ins Gesicht für die.«
»Das sind deine Freunde«, sagte ich.
»Wenn es meine sind, sind es auch deine. Jedenfalls wollten sie es sein.« Er schaute mich besorgt an. »Was ist los mit dir, Laurie? Wenn wir zusammen sind, habe ich immer das Gefühl, dass du gar nicht richtig bei mir bist. Mit den Gedanken scheinst du immer woanders zu sein.«
»Ich bin jetzt bei dir«, sagte ich und küsste ihn, um es zu beweisen.
Das funktionierte bei Gordon immer. Er presste seinen Mund so heftig auf meinen, dass ich spürte, wie meine Zähne in die Oberlippe schnitten. Ich nehme an, man hätte das einen leidenschaftliche Kuss nennen können, aber mittendrin stellte ich fest, dass er recht hatte, meine Gedanken wanderten ⦠weg von uns beiden, als ob sie ganz woanders zu tun hätten. Irgendwie schien ich ein Stück zurückzutreten und mir dieses Mädchen und diesen Jungen anzusehen, die sich da küssten. Was für ein schönes Paar sie doch abgeben, dachte ich dabei, wie aus einem Film, die ideale Besetzung ⦠die blonden Haare des Jungen bilden so einen schönen Kontrast zur dunklen Mähne des Mädchens.
So muss es für Lia sein , dachte ich plötzlich. Sie steht daneben und schaut zu.
Der Gedanke machte mir solche Angst, dass ich anfing, krampfhaft zusammenzuzucken, und Gordon hörte auf, mich zu küssen, rückte ein Stück von mir ab und starrte mich an.
»Ich muss dich ja wirklich anmachen! Das ist echt gut fürs Ego, weiÃt du.«
»Sorry«, sagte ich. »So war das nicht, das weiÃt du.«
»Was zum Geier war es dann? Das hab ich gemeint, mit den Gedanken bist du immer woanders. Ich hab keine Ahnung, was dein Problem ist, Laurie, aber wenn du es nicht in den Griff kriegst,
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