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Komm zu mir, Schwester!

Komm zu mir, Schwester!

Titel: Komm zu mir, Schwester! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lois Duncan
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meine alltägliche Welt umgezogen, ein Schatten, der beim Essen über meinen Teller zog, ein Flüstern, das so laut geworden war, dass es andere Stimmen übertönte.
    Â»Du hast Meg überhaupt nicht zugehört«, warf mein Vater mir vor.
    Â»Doch, hab ich.«
    Â»Ihre Geschichte …«
    Â»Ich hab sie mir angehört.«
    Â»Ich hab gar keine Geschichte erzählt. Ich hab erzählt, wie ich eine geschrieben habe«, ließ Meg mich in einem beleidigten Ton wissen. »Und sie wird in der Schülerzeitung abgedruckt.«
    Â»Das ist ja toll«, sagte ich. »Wirklich toll.«
    Einen Moment herrschte Schweigen.
    Â»Laurie«, sagte Dad langsam, »geht es dir auch gut? In letzter Zeit bist du irgendwie gar nicht mehr du selbst.«
    Â»Alles in Ordnung. Könnte nicht besser sein.«
    Ich stand abends nach dem Essen vom Tisch auf, wusch das Geschirr ab und nahm meine Bücher, als ob ich Hausaufgaben machen wollte. Mit der Familie saß ich nicht mehr zusammen. Schluss mit den albernen Kartenspielen. Ich kletterte die Stufen zu meinem Zimmer hoch, wo Lia manchmal auf mich wartete, und wenn sie nicht da war, dann wartete ich auf sie.
    Â»Was macht sie da oben jeden Abend?«, fragte mein Vater. Seine Stimme kam von unten aus dem Wohnzimmer zu mir hochgeweht. »So viele Hausaufgaben kann sie wirklich nicht haben. Früher hat sie sich doch nie so in ihrem Zimmer verbarrikadiert.«
    Â»Sie ist siebzehn«, sagte Mom. »Das ist ein schwieriges Alter. Vermutlich hat sie sich mit Gordon gestritten, er ruft gar nicht mehr an.«
    Â»Er hat eine neue Freundin«, sagte Megan, die wandelnde Klatschkolumne.
    Â»Oje«, sagte Mom. »Arme Laurie! Sie muss sich ja furchtbar fühlen. Für nichts auf der Welt möchte ich wieder in diesem Alter sein. Da geht der Schmerz so tief.«
    Ihre Bemerkung löste bei mir eine Art Schuldgefühl aus, denn ich verdiente kein Mitleid. Die Sache mit Gordon hätte ich nämlich klären können. An dem Tag, nachdem ich ihn auf dem Pier gesehen hatte, war er in der Schule zu mir gekommen, bereit, glaube ich, alles wieder gutzumachen.
    Â»Mary Beth sagt, du warst gestern an der Fähre, weil du mich abholen wolltest«, fing er ein wenig nervös an. »Ich hab dich gar nicht gesehen.«
    Â»Ich weiß.«
    Â»Und jetzt bist du sauer, weil du gesehen hast, wie ich mit Crystal geredet habe?«
    Â»Ich bin nicht sauer«, sagte ich. »Du brauchst mir gar nichts zu erklären.«
    Â»Crystal ist mit Darlene zusammen nach der Schule noch dageblieben«, sagte Gordon. »Sie sind wirklich gute Freundinnen. Darlene bleibt immer und guckt beim Training zu, dann fährt sie mit Blane zurück auf die Insel. Und Crystal hat ihr Gesellschaft geleistet. Auf dem Heimweg waren wir auf derselben Fähre.«
    Â»Und habt Händchen gehalten?«
    Â»Ich hab ihre Hand genommen, um ihr ans Ufer zu helfen. Wegen so was kannst du doch nicht eifersüchtig sein, Laurie. Wenn du mal die Zeit opfern und zum Training bleiben würdest wie die anderen Mädchen, deren Freunde in der Mannschaft sind …«
    Â»Ich sag doch, ich bin nicht sauer«, unterbrach ich ihn.
    Â»Ja, das merkt man.«
    Â»Wirklich nicht«, versicherte ich ihm ungerührt. »Zuerst war ich ein bisschen durcheinander, aber ich bin drüber weg. Ist doch schön, dass Crystal und du zueinander gefunden habt. Echt. Du hast mir ja schon vorher gesagt, dass es zwischen uns beiden nicht mehr so ist, wie es einmal war. Wenn alles in Ordnung wäre, würde ich sicher auch zum Training kommen.«
    Gordon starrte mich ungläubig an. Ich glaube, mein Mangel an Gefühlen schockte ihn mehr als meine Worte. Ich starrte zurück – und war ganz erstaunt darüber, dass ich diese Sache, die mir einmal so viel bedeutet hatte, so leicht loslassen konnte.
    Aber ich war jetzt ein anderer Mensch. Ich hatte Gordon nichts zu geben. Alles in mir war einzig und allein auf Lia ausgerichtet.
    Ich würde gern erklären können, wie ich mich während dieser Zeit gefühlt habe. Ich wünschte, ich könnte in Worte fassen, was für ein seltsames Gefühl es war, von einem anderen Wesen so vereinnahmt zu sein. Aber ich bin nicht die leibliche Tochter meines Vaters. Über seine Gabe, mit Worten umzugehen, verfüge ich einfach nicht.
    Vielleicht könnte ich sagen, dass es so ähnlich war, wie sich zu verlieben. Als Gordon und

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